Deutsche Redaktion

"Viele Zusicherungen, kein Durchbruch bei schwierigen Themen"

23.01.2024 10:53
Die gestrige Visite von Premierminister Donald Tusk in Kiew ist ein wichtiges Thema der heutigen Pressekommentare. Außerdem: Dialog oder hartes Durchgreifen - was ist die bessere Strategie im Umgang mit dem Erbe der Vorgängerregierung? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Premier Tusk z wizytą w Kijowie
Premier Tusk z wizytą w Kijowietwitter.com/@donaldtusk

Dziennik/Gazeta Prawna: Wille allein wird die Probleme nicht lösen

Viele Zusicherungen zur Unterstützung bei der Verteidigung gegen Russland, aber weniger Konkretes bei schwierigen Themen in den Beziehungen Kiew–Warschau – so fasst die Visite das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna zusammen. Für den Premierminister sei der Besuch, wie das Blatt erinnert, abgesehen vom EU-Gipfel, die erste Auslandsreise seit seinem Amtsantritt. Tusk habe damit ein Symbol gesetzt und auch ein Paket militärischer Hilfe nach Kiew gebracht. Neu sei auch Polens Unterstützung der Deklaration der G7-Staaten zu Verträgen, die die Sicherheit der Ukraine erhöhen sollen. Warschau habe sich für solche Garantien in den Jahren 2022-23 zwar eingesetzt. Aber als die Deklaration im Juli 2023 beim NATO-Gipfel abgesegnet worden sei, habe sich Polen nicht angeschlossen. Der damalige polnische Botschafter in Kiew, Bartosz Cichocki, habe dies damit begründet, dass das die vorgeschlagenen Formulierungen zu vage seien. Inoffiziell habe man aber hören können, dass Polen darüber verärgert gewesen sei, von der Ukraine bei Konsultationen über Sicherheitsgarantien außen vor gelassen worden zu sein. Aber in Bezug auf die Streitigkeiten um ukrainisches Getreide sowie den Zugang ukrainischer Transportunternehmen zum EU-Markt hätten wir nur von „der bestmöglichen Absicht” gehört, "gemeinsam Probleme zu lösen“. Auch Konflikte zur schwierigen gemeinsamen Geschichte, darunter die Einschränkungen in Bezug auf die Exhumierungen der Opfer des Wolyn-Massakers, seien nicht thematisiert worden, da diese, wie der Premierminister erklärte, die “gemeinsamen Interessen” nicht verschleiern sollten. Zudem habe Tusk einen neuen Regierungsbevollmächtigten für den Wiederaufbau der Ukraine ernannt. Inoffiziell heiße es, dass auch ein Wechsel auf dem Posten des ukrainischen Botschafters in Warschau anstehen könnte. Es heiße, Selenskyj wolle einen seiner engsten Mitarbeiter an die Weichsel entsenden, so Dziennik/Gazeta Prawna.

Rzeczpospolita: Neuer Traktat zwischen Polen und der Ukraine notwendig

Der Chefredakteur der konservativ-liberalen Rzeczpospolita Bogusław Chrabota postuliert im Anschluss an die Visite des polnischen Premierministers in Kiew die Notwendigkeit eines bilateralen Vertrags, der die strategische Partnerschaft zwischen Polen und der Ukraine dauerhaft regeln würde. Das Dokument könnte etwa dem Elysée-Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland nachempfunden werden, so Chrabota. 

Der gestrige Besuch von Tusk, lesen wir, sei nicht nur die erste offzielle Auslandsvisite des neuen Premierministers gewesen. Er habe auch zu einem für die Ukraine besonders schwierigen Zeitpunkt stattgefunden. Denn Kiew habe im letzten Jahr nicht die erwarteten Erfolge in der Offensive erzielt und stehe heute vor einem Defizit an finanzieller und militärischer Unterstützung durch seinen bisher wichtigsten Verbündeten, die Vereinigten Staaten. Auch in Westeuropa seien nicht alle so enthusiastisch in der Unterstützung des kämpfenden Landes wie Präsident Emmanuel Macron oder Premierminister Rishi Sunak. Daher würden der Besuch des polnischen Premierministers und die mit einer Reihe konkreter Vorschläge untermauerte Erklärung der bedingungslosen Unterstützung für die Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland besonders laut erklingen. Ohne Übertreibung könne man sagen, dass Polen nach Momenten politischen Zögerns unter Tusks Vorgängern wieder an der Spitze des Bündnisses für eine unabhängige Ukraine stehe. Und drittens, nicht weniger wichtig, falle Tusks Besuch in Kiew zeitlich mit der erwarteten Entscheidung Brüssels zusammen, die Verordnung, die den zollfreien Import ukrainischer landwirtschaftlicher Produkte in die EU erlaube, für ein weiteres Jahr, also bis Juni 2025, zu verlängern. Das seien alles gute Nachrichten für Warschau und Kiew, schlechte für Moskau, das viel unternommen habe, um die europäische Solidarität zu zerbrechen. 

Der symbolische Aspekt von Tusks Besuch in der Ukraine, so der Autor, sei eindeutig. Aber per Definition bleibe er eben immer noch im Bereich der Symbole. Es sei dringend notwendig, die Erklärungen in den Bereich des praktischen Alltags zu übertragen. Wir würden eine schnelle Grenzöffnung brauchen, eine Einigung in Fragen der bilateralen Verkehrspolitik, Rüstungsverträge oder – wie Premierminister Tusk in Kiew gesagt habe – gemeinsame Investitionen in die Verteidigung. Aber auch kulturelle Zusammenarbeit, in Fragen der Geschichtspolitik und tausend anderen, nicht weniger wichtigen Angelegenheiten. Und schließlich eben auch die dauerhafte Regelung der strategischen Partnerschaft in einem internationalen Vertrag, der nach dem Vorbild des Elysée-Vertrags zwischen Frankreich und Deutschland oder des Quirinal-Vertrags zwischen Frankreich und Italien gestaltet werden könnte. Das sei der notwendige Endpunkt des Weges, den beide Staaten seit vielen Jahren mehr oder weniger konsequent beschreiten. Bei gutem Willen von beiden Seiten könne dies schließlich möglich werden, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Erste Niederlage der Regierung Tusk

Derweil befeuern jeden Tag neue Ereignisse und Urteile den Streit zwischen den Kommentatoren darüber, wie man mit dem Erbe der Recht und Gerechtigkeit PiS umgehen sollte. Neuestes Beispiel: Gestern hatte ein Rechtspfleger in Warschau den Eintrag des Liquidierungszustands in Bezug auf den Polnischen Rundfunk und das Polnische Fernsehen in das Nationale Gerichtsregister abgelehnt. Wie der Publizist Jacek Nizinkiewicz erinnert, habe Kultusminister Bartłomiej Sienkiewicz den Schritt als womöglich politisch motiviert bezeichnet, da an der Spitze des Gerichts ein Vertrauter von Ex-Justizministers Zbigniew Ziobro stehe. 11 Gerichte hätten schließlich die Liquidierung von staatlichen Medienunternehmen eingetragen und nur ein Gericht in Warschau habe dies abgelehnt, habe Sienkiewicz betont. Und der Minister, so der Autor, habe Recht, wenn er unterstreiche, dass die Propaganda in den öffentlichen Medien nicht fortgesetzt werden sollte. Nur, werde die neue Regierung nun ein Gerichtsurteil anfechten, nur weil es ihr nicht gefalle? Oder die Besetzung der Gerichte, die Urteile nicht nach ihrem Geschmack fällen? Nicht eine solche Änderung sei es, die im Wahlkampf versprochen worden sei. 

Natürlich, lesen wir weiter, sei die Gerichtsentscheidung nicht endgültig, das Kultusministerium könne Berufung einlegen. Gleichzeitig sollte die Regierung jedoch auch den Dialog mit Staatspräsident Andrzej Duda suchen. Denn der Chef der Präsidialkanzlei habe signalisiert, dass Duda sich die Medien auch ohne den durch die PiS geschaffenen Rat der Nationalen Medien vorstellen könne. Dialog scheine also möglich zu sein. Auch Kulturschaffende sollten in die Gespräche einbezogen werden. Ein Mangel an Dialog und juristische Schizophrenie würden niemandem dienen, außer denen, die möchten, dass alles so bleibe, wie es vor dem 15. Oktober 2023 war, so Jacek Nizinkiewicz in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Mit der PiS muss man mit harten Bandagen kämpfen

Bartosz Wieliński von der linksliberalen Gazeta Wyborcza argumentiert in seinem Kommentar indes für hartes Durchgreifen gegen die PiS. Geht es nach Wieliński, zeige das Durcheinander mit der Begnadigung der PiS-Politiker Kamiński und Wąsik klar, dass man mit der Recht und Gerechtigkeit mit harten Bandagen kämpfen muss. Er, so der Autor, höre von einigen Sympathisanten des demokratischen Lagers, dass Justizminister Bodnar die beiden Politiker freilassen und damit einen Schritt auf den Präsidenten zugehen sollte, der doch ein weiteres Begnadigungsverfahren eingeleitet habe. Das sei schrecklich naiv und blauäugig. Denn Versöhnung sei eine wunderschöne Idee, aber es werde keine Versöhnung geben, wenn die Schuldigen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Kamiński und Wąsik würden die Brutalität und die Verachtung des Rechts der PiS verkörpern. Sie könnten aus der Haft entlassen werden, wenn sie ihre Haftstrafen absolviert haben oder wenn sie der Staatspräsident begnadige. Eine dritte Option gebe es nicht. 

Die PiS, so Wieliński, träume nur davon, dass die neue Regierung den selbsternannten Moralisten, die zur Mäßigung aufrufen, Gehör schenkt. Denn wenn man dies einmal tue, werde man sie nicht mehr los. Und wenn man beispielsweise Zbigniew Ziobro und seine Anhänger für Missbräuche im Justizfonds und für die Trollfarm im Justizministerium nur sanft zur Rechenschaft ziehe, würden die Abrechnungen in einer Farce enden. Und dann werde es auch keine Versöhnung geben, denn es mache keinen Sinn, auf Gesten einer schwachen Regierung zu antworten. Deshalb wolle er wiederholen: Man müsse hart gegen die PiS (Recht und Gerechtigkeit) spielen und die Schandtaten dieser Partei unerbittlich und entschieden aufklären. Politiker und Sympathisanten der PiS, die verdächtigt werden, das Gesetz gebrochen zu haben, müssten für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden, und die Regierung dürfe auf keiner Ebene nachgeben. Simpel, oder? 

Man, so der Autor, sehe die Ergebnisse eines solchen Ansatzes bereits. Der PiS würden karikaturistische Demonstrationen und Appelle an das Ausland zur Verteidigung angeblicher politischer Gefangener bleiben, in Umfragen würde die Partei immer schlechter abschneiden. Staatspräsident Duda stehe mit dem Rücken zur Wand. Er habe versucht, die Verantwortung für die Freilassung von Kamiński und Wąsik auf Minister Bodnar abzuwälzen, aber der habe sich dem Druck nicht gebeugt, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau