Deutsche Redaktion

Was wird Polen durch den Verlust des EU-Vetos gewinnen oder verlieren?

08.02.2024 13:27
In der Rzeczpospolita zeigt sich Jerzy Haszczyński besorgt über den möglichen Wandel Amerikas. Bisher habe Washington nämlich die Hauptrolle in der westlichen Sicherheitspolitik gespielt. Seit Jahren verlieren die USA allerdings das Interesse an Europa. Polen, so der Autor, müsste somit vielleicht eine sicherheitspolitische Revolution wagen und auf die großen Akteure in der EU, Deutschland und Frankreich, setzen.
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Falls ja, welchen Preis müsste Polen in anderen Bereichen als der Sicherheit zahlen? Die getroffenen Entscheidungen würden dann auch in einer Zeit gelten, in der Europa und die Welt ganz anders aussehen könnten, als es heute scheine. Zum Teil sogar für immer.

Sollte Donald Trump in den USA gewinnen, könnte er die NATO auflösen oder ihr zumindest die Zähne nehmen, heißt es weiter. Aber auch ohne Trump gebe es keine Garantie dafür, dass die EU-Mächte in der Lage sein werden, oder überhaupt den Willen hätten, die Amerikaner in der europäischen Sicherheitsarchitektur zu ersetzen. Und genau deshalb, lesen wir im Blatt, müsse man sehr vorsichtig sein, wenn man Deutschland und Frankreich in anderen Bereichen für die Sicherheit bezahle.

Berlin und Paris könnten nämlich ebenfalls bald vor ihrer eigenen kopernikanischen Wende stehen, fährt der Autor fort. In Frankreich könnte die prorussische Marine Le Pen bereits in dreieinhalb Jahren die Präsidentschaftswahlen gewinnen. Dort seien auch viele andere französische Politiker sowie ein großer Teil der Bevölkerung pro-russisch eingestellt, lesen wir.

In Deutschland, so Haszczyński weiter, bestehe die derzeitige Bundesregierung, mit der Polen über einen Preis verhandeln würde, aus drei Parteien, die insgesamt nur knapp ein Drittel der Wählerschaft unterstütze. Sollten die Umfragetrends anhalten, könnte somit auch Deutschland Ende 2025 anders aussehen.

Die derzeitige Regierung in Berlin habe daher möglicherweise nicht einmal Zeit - wie Außenminister Radosław Sikorski angedeutet hat -, „kreativ" über eine Entschädigung Polens für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs nachzudenken. Die Deutschen wüssten größtenteils nichts von diesen Verbrechen, was u.a. der nationalistischen und pro-russischen Alternative für Deutschland (AfD) helfe.

Der von der deutschen Regierung forcierte Abschied vom Vetorecht der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik des Blocks sollte man deshalb mit besonderer Vorsicht betrachten. Vor allem, was die Mehrheitsbildung im Sinne deutscher Interessen betreffe. Für schwächere Länder mit einer anderen Vergangenheit sei dies eine empfindliche Souveränitätsfrage.

Polens Machthaber müssten deshalb einen genauen Plan vorlegen. Was ist der Preis für etwas, das Polen und andere kleinere Staaten aus der Region für immer verlieren könnten? Der Preis in Sachen Sicherheit sollte auch für immer sein, aber könne man sich dessen genauso sicher sein, fragt Haszczyński als Fazit in der Tageszeitung. 

Deutschland und Frankreich mogeln in Sachen Ukraine-Hilfe 

Die europäische Rüstungsindustrie verkaufe lieber Munition im Nahen Osten als an die Ukraine, schreibt indes Jakub Mielnik für das Wochenblatt Wprost. Das Schicksal der EU-Waffenfinanzierung für Kiew sei aufgrund der Zögerlichkeit der wichtigsten EU-Länder ungewiss.

Geht es nach dem Leiter der EU-Diplomatie, Josep Borrell, befänden sich Kunden europäischer Rüstungsunternehmen, die Schwierigkeiten haben, ihre Zusagen für Munitionslieferungen an die Ukraine zu erfüllen, nicht im Krieg. Sie könnten deshalb ein paar Monate länger warten, soll er vor kurzem bei einem Treffen mit Polens Außenminister in Warschau gesagt haben.

Wie Borrell gleichzeitig zugab, hätte die EU-Waffenindustrie nicht das geringste Problem, die gegen Russland kämpfenden Ukrainer zu beliefern, wenn sie nicht fast die Hälfte ihrer Produktion außerhalb Europas verkaufen würde.

Wie der EU-Hochkommissar betonte, handle es sich bei den Lieferungen an Kiew nicht um reine Wohltätigkeit. Kiew aber zahle für diese Unterstützung mit einer ebenso harten Währung wie die Empfänger französischer oder deutscher Waffen im Nahen Osten oder in Afrika, schreibt Mielnik.

Es gehe hierbei um viel Geld. Der Preis für die von der Ukraine am meisten nachgefragten Artilleriegranaten des Kalibers 155 mm sei seit Kriegsbeginn von 2.000 € auf 8.000 € pro Stück gestiegen, so Wprost. Die Tatsache, dass westeuropäische Hersteller es vorziehen, diese Munition nicht nach Kiew, sondern weit über Europa hinaus zu schicken, sei ein gutes Beispiel für die politische Atmosphäre, die Europas Beteiligung am Krieg mit Russland präge. 

The Spectator: Zeit, Polen Atomwaffen zu geben 

Angesichts der Bedrohung der europäischen Sicherheit durch Russland und der möglichen Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sei es an der Zeit, Polen mit Atomwaffen auszustatten, schreibt Dalibor Rohac vom American Enterprise Institute (AEI) auf dem Nachrichtenportal der britischen Wochenzeitung The Spectator.

Während Donald Trump auf die republikanische Nominierung zusteuere, lesen wir, stelle sich für Europa eine Frage: Wie sollte sich der Kontinent auf eine Welt vorbereiten, in der die NATO nicht mehr existiere? Für die einen laute die Antwort „strategische Autonomie", so Rohac. Für die anderen, so viel US-Ausrüstung wie möglich zu bestellen, um sich das Wohlwollen der neuen Regierung zu erkaufen. Um die Sicherheit Osteuropas vor Trump zu schützen, gäbe es aber nur wenige Maßnahmen, die so effektiv wären wie die Bewaffnung des größten Landes der Region, Polen, mit Atomwaffen, überzeugt der Autor.

Selbst zentristische EU-Politiker wie der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, würden über nukleare Abschreckung als mögliche Antwort auf Trumps Rückkehr nachdenken. Weber nach sollten Frankreich und vielleicht sogar Großbritannien mit ihrem nuklearen Potenzial an der Spitze einer solchen europäischen Abschreckung stehen.

Geht es nach Rohac, sollte sich Europa keine Illusionen machen. Trump werde weder hart gegenüber Russland sein, noch sei er an einer Stärkung der NATO interessiert. Der ehemalige Präsident habe das Bündnis als veraltet bezeichnet und überlegt, es zu verlassen. Die wirkliche Bedrohung für die NATO sei aber nicht ein formeller amerikanischer Rückzug, sondern eher die Möglichkeit, dass der neue Präsident sich einfach nicht für einen angegriffenen Verbündeten gemäß Artikel 5 einsetzen würde, so der Experte für The Spectator.

 

Autor: Piotr Siemiński