Rzeczpospolita: Der EU-Enthusiasmus der Polen sinkt
Am Vorabend des 20. Jahrestags des polnischen EU-Beitritts zeigt eine im Auftrag Brüssels durchgeführte Umfrage, dass die Polen das idealisierte Bild der europäischen Integration mittlerweile hinter sich gelassen haben, schreibt auf ihrer Titelseite die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Zwar, so das Blatt, seien 81 Prozent der befragten Polen überzeugt, dass wir von der EU-Mitgliedschaft profitiert haben, und 71 Prozent der Polen bewerten die Zukunft des vereinten Europas mehr oder weniger „optimistisch“. Aber wir, so die das Blatt , würden die EU nicht mehr nur in rosigen Farben sehen. Wir würden auch ihre Schwächen erkennen. Nur 35 Prozent der Einwohner Polens würden beispielsweise glauben, dass „in den letzten Jahren die Rolle der Europäischen Union in der Welt gestiegen ist“ (37 Prozent meinen, sie sei unverändert geblieben, und für 27 Prozent hat sie sogar abgenommen). In Zeiten, in denen Russland einen großangelegten Krieg in der Ukraine führe und Donald Trump drohe, seine Unterstützung für Europa einzustellen, falls er ins Weiße Haus zurückkehre, sei dies eine sehr beunruhigende, wenn nicht gar niederschmetternde Bewertung. Wie könne das geändert werden? Auf die Frage, was nun Priorität für die Union sein sollte, würden 48 Prozent der Polen auf Verteidigung und Sicherheit hinweisen. Sie würden also in der Gemeinschaft eine Art Versicherungspolice für den Fall sehen, dass Amerika an unserer Seite fehlen sollte. Dies sei ein Ausdruck des Glaubens an das große Potenzial der europäischen Integration, so Rzeczpospolita.
Rzeczpospolita: Der Effekt der Gewöhnung an eine geopolitische Katastrophe
In seiner Stellungnahme zur Umfrage zeigt sich der Publizist der Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński weniger optimistisch. Obwohl die Unterstützung der Polen für die EU immer noch über dem europäischen Durchschnitt liege, sei sie oberflächlich. Einen Polexit, so der Autor, könne man heute nicht mehr ausschließen.
Über Jahre hinweg, so der Autor, hätten die Polen zu den proeuropäischsten Nationen in der EU gezählt. Heute seien wir auf Platz 11, mit 51 Prozent derjenigen, laut denen die EU etwas Gutes ist, was 4 Prozentpunkte über dem europäischen Durchschnitt liege (11 Prozent der Polen sind gegenteiliger Meinung). Dies sei eine weitere Studie mit solchen Ergebnissen, betont Szułdrzyński. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage von IBRiS für die „Rzeczpospolita“ hätten 53 Prozent der Befragten erklärt, dass die Vorteile der Mitgliedschaft deren Nachteile überwiegen. Gleichzeitig hätten sie jedoch das „Aufzwingen von EU-Recht“ (34 Prozent der Antworten) sowie die ungleiche Behandlung der Mitgliedsländer (31 Prozent) beklagt. Bei Wählern der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Konföderation würden die Antworten noch negativer ausfallen. Nur 18 Prozent der Anhänger von Jarosław Kaczyńskis Partei und knapp 7 Prozent der Partei von Krzysztof Bosak seien von der Überlegenheit der Vorteile über die Nachteile der EU überzeugt. 48 Prozent der Wähler der Konföderation glauben, dass Vor- und Nachteile sich ausgleichen, bei der PiS seien es 45 Prozent (im Vergleich zu einem Durchschnitt von 24 Prozent für alle Gruppen). Wenn es keine Vorteile gibt, warum dann Mitglied der EU bleiben? – könnten Rechtsorientierte fragen.
Was all dies bedeute? Drei Schlussfolgerungen. Jede von ihnen beunruhigend. Erstens, Polen höre auf, eines der proeuropäischsten Länder in der EU zu sein. Etwas, das in den letzten zwei Jahrzehnten als sicher gegolten habe, nämlich die Orientierung an europäischen Strukturen, die uns zu dem Ort geführt hätten, an dem wir heute sind, sei nicht mehr offensichtlich. Zweitens, obwohl die Polen über dem europäischen Durchschnitt liegen würden, sei diese Einstellung ziemlich oberflächlich. Wenn man tiefer schaue und im Detail nachfrage, höre sie auf, eine dauerhafte und mehrheitliche Haltung zu sein. Und schließlich – drittens – sehe man die Auswirkungen der anti-europäischen Rhetorik der Regierung der Vereinigten Rechten aus den letzten acht Jahren. Zwei Amtszeiten, in denen die Europäische Union verunglimpft, als Eindringling, Einmischer, Feind unserer Souveränität dargestellt worden sei, hätten dazu geführt, dass die PiS-Wähler stark anti-europäisch geworden seien. Das bedeute, dass das Risiko, die öffentliche Meinung in Richtung Feindseligkeit oder sogar Feindschaft gegenüber der EU zu beeinflussen, real sei. Und wenn jemand wollte, könnte er – möglicherweise inspiriert vom Osten – einen anti-europäischen Sturm entfesseln und zu erheblichen geopolitischen Turbulenzen führen. Das Letzte, was wir jetzt brauchen würden.
Für die bevorstehenden EU-Wahlen hätten sich bereits drei Komitees registriert, die das Wort „Polexit“ im Namen tragen. Bisher seien das politische Randgruppen, aber mit dem Schüren anti-europäischer Stimmungen durch die Rechte könnte das Risiko eines Austritts aus der EU steigen. Man brauche nur eine der rechtskonservativen Wochenzeitschriften zu nehmen, die in der letzten Ausgabe ein Dutzend Artikel veröffentlicht habe, die beweisen, dass die Union schrecklich ist und verlassen werden muss. So gewöhne man die Polen an ein Szenario, das eine geopolitische Katastrophe wäre, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Jede Idee zum Schutz des Luftraums hat Sinn. Solange wir unsere Projekte nicht aufgeben
Stichwort Verteidigung. Die Initiative der europäischen Eisernen Kuppel hat in Polen in den letzten Tagen für einige Kontroversen gesorgt. Nachdem Premierminister Tusk den Eintritt Polens in das Unterfangen angekündigt hatte, hat Staatspräsident Andrzej Duda dieses als deutsches Wirtschaftsprojekt bezeichnet und betont, dass Polen bereits seit Jahren an seinem eigenen Projekt zur Luftabwehr arbeitet.
Jede Idee zum Schutz des Luftraums hat Sinn, solange wir unsere eigenen Projekte nicht aufgeben, schreibt dazu Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna. Denn, so Parafianowicz, der Eintritt in das europäische Luftverteidigungsprojekt, über das Donald Tusk spreche, werfe nicht nur Fragen zur Qualität der Luftverteidigung auf (womit schießen wir auf russische Raketen?). Es gehe vor allem um die Frage, wer genau entscheide, wann die Raketen des europäischen Schilds abgefeuert werden sollen. Und wie diese Person die Bedrohung definieren werde. Was, wenn es sich um einen Marschflugkörper handele, dessen Flugbahn unklar sei? Und wenn nicht klar sei, wer betroffen sei: die Ukraine oder vielleicht Polen? Werde die gemeinschaftliche Luftverteidigung in einer solchen Situation funktionieren? Denn sie werde nicht unter Artikel 5 fallen. Sie sei eher eine Art engerer Zusammenarbeit zwischen befreundeten Staaten, die in gutem Glauben durchgeführt werde. Es mache keinen Sinn, den guten Glauben der polnischen Verbündeten in Frage zu stellen. Selbst in einem Projekt, das keinen eindeutigen Bezug zu Artikel 5 habe und ohne Amerikaner auskomme. Es sei jedoch sinnvoll zu fragen, wie hoch das Sicherheitsniveau in einem solchen Projekt in Abhängigkeit von der Entfernung zum Bug ausfallen werde.
Wir hätten ein Beispiel dafür gesehen, als Polen im Frühjahr 2022 zu Beginn des Krieges die ersten polnischen MiG-29 an die Ukraine übergeben habe. Die Regierung der Vereinigten Rechten und Staatspräsident Andrzej Duda, erinnert Parafianowicz, wollten die Maschinen über den NATO-Stützpunkt Ramstein in Deutschland übergeben. Es habe sich herausgestellt, dass die Amerikaner durchaus bereit gewesen seien, die Flugzeuge der Ukraine zu schicken. Aber nicht unbedingt über Ramstein. Ganz zu schweigen von den Deutschen, die dagegen gewesen seien. Das führe natürlich zu der Frage: Habe die Sicherheit des polnischen Luftwaffenstützpunkts in Mińsk Mazowiecki eine geringere Priorität als die des Stützpunkts Ramstein? Schließlich habe man die Ukrainer die MiGs von einem Grenzstreifen im Osten Polens "stehlen" lassen. Und so sei das Dilemma gelöst worden. Die grundlegenden Fragen in dieser Angelegenheit seien jedoch unbeantwortet geblieben. Und damals sei es um Maßnahmen im Rahmen der NATO und Artikel 5 gegangen, und nicht um ein Projekt engerer Zusammenarbeit in unbestimmten Rahmen. Ähnlich habe die Situation mit den Patriot-Systemen aus Deutschland ausgesehen. Als sich der Staub gelegt habe – Staub, nicht die Bedrohung, denn Marschflugkörper würden weiterhin in den polnischen Luftraum eindringen – hätten sich die Deutschen zurückgezogen.
Aus diesem Grund, so der Autor, habe die Internationalisierung der Luftverteidigung viele negative Aspekte. Es gebe jedoch keinen Grund, nach den Erklärungen von Donald Tusk bei einem Treffen mit der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen Alarm zu schlagen. Erstens – das Projekt European Sky Shield Initiative, also die Initiative für eine europäische Luftraumverteidigung, sei bisher nur ein Schloss aus Tinte. Ein Projekt, das gut klinge, aber nicht unbedingt Realität werden müsse. Zweitens – wenn die Haltung von Donald Tusk eine Art Zaubertrick sein soll und ein Argument für die „Rückkehr Polens nach Europa“, das Warschaus Position in Gesprächen über Waffenkäufe in den USA stärken könne, dann habe diese Illusion sogar einen gewissen Sinn. Drittens – glücklicherweise – spricht niemand von einer Überarbeitung der grundlegenden Programme zum Schutz des polnischen Himmels. Das bedeutet, dass Polen bis Ende des Jahrzehnts über ein eigenes, nicht „gemeinschaftliches“ und europaweit modernstes System verfügen wird, so Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna.
Rzeczpospolita: Joe Tusk vs. Donald Duda
Und zum Schluss noch ein Kommentar zum gestrigen gemeinsamen Abendessen zwischen Staatspräsident Andrzej Duda und Donald Trump im Trumptower von Jędrzej Bielecki von der Rzeczpospolita. Wie Bielecki erinnert, sei es eine gute Tradition des freien Polens gewesen, die Beziehungen zu den USA auf eine überparteiliche Ebene zu heben, so dass in Washington das Bündnis mit Polen als Teil der amerikanischen Staatsräson und nicht als Teil der Agenda der Republikaner oder Demokraten angesehen werde. Daher sei das gestrige Treffen von Duda mit Trump, mit dem der polnische Staatspräsident signalisiert habe, dass er Trump gerne wieder im Weißen Haus sehen würde, ein Fehler gewesen. Ebenso, wie die Reaktion von Premierminister Donald Tusk, der Trump wiederum für seine “prorussische Haltung” und seine Einstellung zur NATO kritisiert und spitz angemerkt habe, dass sich dieser zu dem Abendessen mit Duda direkt aus dem Gerichtssaal begeben werde. Diese eindeutige Unterstützung von Donald Tusk für Joe Biden bedeute, dass der Kampf um das Weiße Haus, der ein halbes Jahr vor der Wahl des polnischen Staatspräsidenten stattfinden werde, für Polen zu einer Art Vorwahl werden wird. Wenn Donald Trump gewinne, werde die PiS annehmen, dass auch die Partei von Jarosław Kaczyński an der Weichsel auf einer Erfolgswelle reitet. Wenn Joe Biden gewinne, werde die Bürgerkoalition (KO) darin eine Bestätigung sehen, dass die Polen beim Retten der Demokratie auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Aber der Preis für die Beziehungen Polens zu den USA könnte hoch ausfallen, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau