Die Bürgerkoalition hatte am Samstag die Kandidatur von Warschaus Stadtpräsident Rafał Trzaskowski bekannt gegeben, der sich in Vorwahlen gegen Außenminister Radosław Sikorski durchgesetzt hatte. Die Recht und Gerechtigkeit PiS wiederum hat am Sonntag ihre Unterstützung für den Chef des Instituts für Nationales Gedenken IPN, Karol Nawrocki verkündet.
Rzeczpospolita: Die Avatare von Tusk und Kaczyński
Rafał Trzaskowski und Karol Nawrocki passen perfekt zu der aktuellen Ausrichtung ihrer jeweiligen Unterstützer-Parteien und fungieren gewissermaßen als „Avatare“ von Donald Tusk und Jarosław Kaczyński, schreibt in seinem Kommentar zu dem Thema der Chefredakteur der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński.
Trzaskowskis Sieg bei den Vorwahlen, lesen wir, führe die Bürgerplattform nach links und spiegele den Wandel der Partei in den letzten zwei Jahrzehnten wider. Es sei ein Weg, den Premierminister Tusk vorgezeichnet habe. Trzaskowski, so der Autor, sei das Gesicht einer neuen, progressiven Generation, die für schnelle Säkularisierung und gesellschaftlichen Wandel stehe. Im Gegensatz dazu hätte eine Wahl von Radosław Sikorski eine Bewegung der Partei nach rechts bedeutet.
Auf der anderen Seite öffne die Wahl von Karol Nawrocki die PiS für nationalistische und konfederationsnahe Strömungen. Geht es nach Szułdrzyński, habe die PiS unter Jarosław Kaczyński einen Weg in Richtung identitären Radikalismus eingeschlagen. Nawrocki verkörpere eine Mentalität, die in der Vergangenheit verankert sei, insbesondere in der Zeit des Kampfes gegen den aufgezwungenen Kommunismus.
Daher könne man sagen, dass die eigentliche Auseinandersetzung bei den kommenden Präsidentschaftswahlen zwischen den Visionen Polens von Tusk und Kaczyński stattfinden werde, deren Avatare die beiden Kandidaten sein werden. „In der Folge wird das moderate Zentrum oder der gemäßigte Konservatismus in der zweiten Runde völlig heimatlos bleiben“, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Gazeta Wyborcza: Sikorski hat gewonnen
Obwohl Außenminister Sikorski die Vorwahlen gegen Rafał Trzaskowski mit 25 Prozent zu 75 Prozent verloren hat, kann er dennoch als Gewinner betrachtet werden, schreibt Bartosz Wieliński von der Gazeta Wyborcza, der die Vorwahlen als positiven Impuls für die politische Kultur im Lande deutet. Wie Wieliński betont, sei die Vorwahlkampagne auf inhaltlicher Ebene geführt worden, ohne persönliche Angriffe, was zeige, dass Politik in Polen auch konstruktiv gestaltet werden kann. Befürchtungen, dass die Vorwahlen zu internen Konflikten führen, hätten sich nicht bestätigt. Stattdessen seien die demokratischen Prozesse innerhalb der Bürgerkoalition gestärkt worden und im Rahmen der Vorwahlkampagne habe Sikorski den Bürgern die komplizierten Zusammenhänge der Außenpolitik erklärt.
Ein weiteres Plus sei die große Eleganz, mit der Sikorski das Wahlergebnis akzeptiert habe. Seine Unterstützung für Trzaskowskis Kandidatur setze gute Standards in der polnischen Politik. Und auch wenn er seinen Traum von der Präsidentschaft nicht verwirklichen könne, gebe es spannendere Positionen, die er in Zukunft bekleiden könne.
In vier Jahren, erinnert Wieliński, ende die Amtszeit von Mark Rutte, dem Generalsekretär der NATO. Schon bei seiner Wahl habe es Stimmen gegeben, dass dieses Amt von einem Politiker aus Mittel- oder Osteuropa besetzt werden sollte. Sikorski sei in der westlichen Diplomatie ein Schwergewicht. In unruhigen Zeiten werde seine Position weiter gestärkt. Ein Politiker seiner Klasse aus Polen, der für die Sicherheit des Westens verantwortlich sei, wäre die Krönung der Transformation unseres Landes. Polen hat also etwas, wofür es kämpfen kann – und Sikorski ebenso, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.
niezalezna.pl: Wer ist Nawrocki
Die nationalkonservative Presse, darunter Gazeta Polska Codziennie und das Portal niezalezna.pl, sind heute voll von dem von der PiS unterstützten Karol Nawrocki und von Artikeln über die Fettnäpfchentritte seines Gegenkandidaten Trzaskowski.
Bei der Vorstellung von Nawrocki hebt das Portal niezalezna.pl Nawrockis Engagement in die Geschichtspolitik hervor, darunter das Projekt „Fighting and Suffering“, das die polnische Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg präsentiert habe und über 33 Millionen Menschen weltweit erreichte. Oder seinen Einsatz gegen sowjetische Denkmäler. Nawrocki habe betont, dass „es in der polnischen Öffentlichkeit keinen Platz für Erinnerungen an das totalitäre kommunistische Regime gibt“. Diese Haltung habe dazu geführt, dass er von russischen Behörden per Haftbefehl gesucht werde. Privat sei Nawrocki ehemaliger Fußballspieler und Boxer, Vater von drei Kindern.
Rzeczpospolita: Trzaskowski hat den Sieg bei Weitem nicht in der Tasche
Trotz des klaren Sieges von Trzaskowski in den Vorwahlen (75 %), sei sein Erfolg in der Präsidentschaftswahl keineswegs sicher, warnt Jacek Nizinkiiewicz in der Rzeczpospolita. Wie der Autor betont, hätten an den Vorwahlen nicht nur Mitglieder der Bürgerplattform, sondern auch der mit ihr in der Bürgerkoalition koalierenden Nowoczesna, Inicjatywa Polska und der Grünen teilgenommen. Insgesamt seien 22.126 Stimmen abgegeben worden, obwohl die Bürgerplattform allein 25.500 Mitglieder zähle. „Hat die PO Tausende 'toter Seelen', oder waren nicht alle mit den Kandidaten zufrieden?“, fragt Nizinkiewicz. Unter den Mitgliedern der Bürgerplattform hätten 39 Prozent für Sikorski gestimmt, was den Sieg von Trzaskowski in seiner Partei weit weniger eindeutig mache, als es auf den ersten Blick erscheine.
Ein zweiter Grund zur Sorge für die Bürgerkoalition, lesen wir weiter, sollte die potentielle Unterstützung für Trzaskowski durch seine Gegenkandidaten bei einer eventuellen Stichwahl sein. Sejmmarschall Hołownia, als potenzieller Drittplatzierter, könnte sich weigern, Trzaskowski in der zweiten Runde zu unterstützen. Die Kandidaten der Konföderation und andere unabhängige Kandidaten würden vermutlich auch geschlossen gegen Trzaskowski arbeiten. Die PiS, so der Autor, spekuliere darauf, dass sich in der zweiten Runde die Stimmen der Trzaskowski-Gegner summieren. „Die Präsidentschaftswahlen wird nicht der stärkste Kandidat von heute gewinnen, sondern derjenige, der ein besseres Team, eine bessere Strategie und mehr Nähe zu den Menschen zeigt“, konstatiert Jacek Nizinkiewicz in der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau