Deutsche Redaktion

Jahrestag der "Wielka Szpera". Alle sollten sterben - Kinder, Kranke, Alte

05.09.2024 09:34
Im September 1942 führten die Deutschen im jüdischen Viertel die so genannte Wielka Szpera (allgemeine Gehsperre) durch, eine Aktion, bei der sie Kinder, Alte und Kranke massenhaft in das Vernichtungslager deportierten. 
Ludność getta dziesiątkowały choroby i głód. fot. Instytut Yad Vashem
Ludność getta dziesiątkowały choroby i głód. fot. Instytut Yad VashemInstytut Yad Vashem

Vor 82 Jahren, am 5. September 1942, begann in Łódź (Lodsch) die sogenannte „Wielka Szpera“ (allgemeine Gehsperre) - eine Aktion, bei der Deutsche Truppen Kinder, Alte und Kranke massenhaft in das Vernichtungslager in Chełmno nad Nerem deportierten. Bis zum 12. September wurden zwischen 15.000 und 20.000 Juden aus dem Ghetto abtransportiert. Die Wielka Szpera wird von den Überlebenden als das traumatischste Erlebnis in der Geschichte des Ghettos von Lodsch bezeichnet.

Der Name der Aktion leitet sich von den deutschen Worten „Allgemeine Gehsperre“ ab, was ein vollständiges Ausgangsverbot bedeutet. Die Bekanntmachung über das von den Nationalsozialisten verhängte Verbot erschien am 5. September an den Mauern des Ghettos Litzmannstadt. Bereits einen Tag zuvor wussten die im Ghetto eingeschlossenen Juden, dass es sich um eine Deportationsaktion handelte, die Personen umfassen würde, die nicht arbeitsfähig waren: Kinder unter 10 Jahren, Kranke und Ältere.


Eine Reise ohne Rückkehr... Łódź, 1944 / fot. Instytut Yad Vashem Eine Reise ohne Rückkehr... Łódź, 1944 / fot. Instytut Yad Vashem

Am 4. September sprach der Vorsitzende des Ältestenrats der Juden in Łódź, Chaim Rumkowski, der den Befehl erhalten hatte, mehr als 20.000 Juden aus dem Ghetto zu schicken, auf dem sogenannten Feuerwehrplatz zu den Versammelten: „Man fordert von uns, das Beste, was wir haben, aufzugeben – unsere Kinder und unsere Ältesten. (…) In meinem Alter muss ich die Hände ausbreiten und flehen: Brüder und Schwestern! Gebt sie mir! Väter und Mütter – gebt mir eure Kinder!“

Die Kinder, die Kranken und die Alten wurden in das Vernichtungslager Chełmno nad Nerem deportiert. In diesem Lager töteten die Deutschen etwa 200.000 Menschen. Zunächst wurden die Menschen in Lastwagen – mobilen Gaskammern – durch Abgase umgebracht, später durch Kopfschüsse im Rzuchowski-Wald.

Mit Abgasen ermordet

Im Yad Vashem-Institut, das die Schicksale der jüdischen Opfer des Holocaust dokumentiert, befindet sich das Zeugnis eines der wenigen Überlebenden von Chełmno – des damals 13-jährigen Szymon Srebrnik: „Es gab drei Lastwagen. Die Abgase des Motors wurden durch den Boden in die Lastwagen geleitet. In einen Lastwagen passten 80 Personen. Ein größerer fasste 100 Menschen. Die Strecke von Chełmno bis zum Wald betrug 4 Kilometer. Während der Fahrt drangen die Abgase in den Innenraum. Wenn man die Türen öffnete, konnte man sehen, dass alle Opfer Verletzungen am Körper hatten. Jeder wollte überleben. Die Menschen verletzten sich gegenseitig. Es war furchtbar.“

Im Vernichtungslager Chełmno nad Nerem töteten die Deutschen auch die Mutter von Szymon Srebrnik: „Woher wusste ich, dass meine Mutter in Chełmno war? Dort gab es eine riesige Menge an Handtaschen. Ein ganzer Berg von Handtaschen. Eines Tages fand ich eine Handtasche mit einem Foto meiner Mutter und ihren Dokumenten. Ich sagte zu einem Deutschen: ‚Schau, das ist meine Mutter.‘ ‚Ja, sie ist jetzt im Himmel.‘“

Das Łódźer Ghetto, das von den Deutschen im Februar 1940 gegründet wurde, war das zweitgrößte – nach dem Warschauer Ghetto – abgeschlossene jüdische Viertel auf den von den Deutschen besetzten polnischen Gebieten und in ganz Europa.


Ein weiterer Transport kommt in Litzmannstadt an. / fot. Instytut Yad Vashem Ein weiterer Transport kommt in Litzmannstadt an. / fot. Instytut Yad Vashem

Alle sollten sterben - Kinder, Kranke, Alte 

Nach der „Großen Szpera“ wurde das Łódźer Ghetto in ein Arbeitslager umgewandelt. Für fast zwei Jahre wurden keine Deportationen in Vernichtungslager durchgeführt. Im Juni 1944, angesichts der herannahenden Front, begannen die Deutschen mit der endgültigen Liquidierung des jüdischen Viertels. Es hörte am 29. August desselben Jahres auf zu existieren. An diesem Tag deportierten die Deutschen die letzte Gruppe Juden in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

Innerhalb der Grenzen des Ghettos richteten die Deutschen auch ein Lager für Roma sowie für polnische Kinder und Jugendliche ein. In ersterem wurden im September 1941 über fünftausend Roma und Sinti aus dem Burgenland an der österreichisch-ungarischen Grenze eingesperrt. Etwa 700 von ihnen starben oder wurden während einer Typhusepidemie hingerichtet. Im Januar 1942 beschlossen die deutschen Behörden die Auflösung des Lagers. 4.300 Roma wurden in das Vernichtungslager Chełmno nad Nerem deportiert und dort ermordet.

Das Lager für polnische Kinder und Jugendliche wurde im Dezember 1942 in der Przemysłowa-Straße errichtet. Dort wurden Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren inhaftiert, aber auch jüngere Kinder, sogar wenige Monate alte Säuglinge, kamen dorthin. Man geht davon aus, dass zwischen zwei- und dreieinhalbtausend Kinder durch das Lager gingen.


PAP/jc

 

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