Die Mikrobiologin Prof. Agnieszka Szuster-Ciesielska schätzt, dass die tatsächliche Anzahl der COVID-19-Fälle in Polen erheblich höher sein könnte als in den offiziellen Statistiken angegeben. Ein Indikator dafür sei der hohe Anteil positiver Tests, der in einigen Regionen bis zu 75% betrage, so die Expertin.
Die Expertin bezog sich auf offizielle Daten, die täglich über 1.000 neue SARS-CoV-2-Infektionen in Polen verzeichnen, darunter 1.300 neue Fälle allein am Donnerstag. "Der außerordentlich hohe Anteil positiver Tests in einigen Gebieten zeigt, dass wir von einer wesentlich höheren tatsächlichen Infektionsrate ausgehen müssen", erklärte Prof. Szuster-Ciesielska.
Sie wies auf Änderungen in den Testvorschriften hin, die seit April 2022 in Kraft sind: In Kliniken und Praxen bestehe nun keine Testpflicht mehr. Stattdessen würden Ärzte nun auf der Grundlage von Symptomen über die Durchführung eines Coronatests entscheiden.
Prof. Szuster-Ciesielska kritisierte zudem die mangelnde Verfügbarkeit des antiviralen Medikaments Paxlovid in Polen, das nicht staatlich erstattet wird und daher für viele unerschwinglich ist. "Das Medikament ist besonders für Risikogruppen wichtig, aber sein hoher Preis von rund 6.000 PLN macht es unzugänglich", sagte sie.
Ein weiteres Problem sieht sie in der Tatsache, dass viele COVID-19-Tests nicht im offiziellen System erfasst werden, da sie privat von Patienten durchgeführt werden. Sie betonte die Wichtigkeit, dass Tests von qualifiziertem Personal durchgeführt und deren Ergebnisse an Ärzte übermittelt werden sollten.
Abschließend äußerte sie Bedenken hinsichtlich des Fehlens aktualisierter Impfstoffe in Polen und Ungarn und kritisierte die Gesundheitspolitik der Regierung scharf. Die Einführung einer Auffrischungsimpfung mit Novavax sei erst für Dezember angesetzt, während die Infektionssaison bereits in vollem Gange sei. Sie warnte, dass die meisten Menschen ihre letzte Impfdosis vor über einem Jahr erhalten haben und die Immunität nach sechs Monaten nachlässt. "Die Patienten sind im Grunde genommen auf sich allein gestellt, was ein eklatantes Versäumnis des Staates im Bereich des Gesundheitsschutzes darstellt", so Prof. Szuster-Ciesielska.
PAP/adn