Deutsche Redaktion

"Die Zeit spielt dem Kreml in die Hände"

07.08.2023 12:07
Der anhaltende Krieg, die Ermüdung durch das Thema und insbesondere die zunehmende Bedeutung der Innenpolitik im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen, lesen wir weiter, würden in den USA ihre Spuren hinterlassen. Gesundsheitsminister Niedzielski verprellt Opposition und Regierungskollegen mit Veröffentlichung von sensiblen Daten. PiS-Chef Kaczyński stellt zentrale Botschaft für die Herbstwahlen vor. Und: Auch bei einer eventuellen Niederlage, wird die PiS wohl noch über Jahre hinweg Einflüsse in den Staatsinstitutionen haben. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Swiatłana  Cichanouska: celem wysłania wagnerowców na Białoruś jest wzmocnienie kontroli Kremla nad tym krajem.
Swiatłana Cichanouska: celem wysłania wagnerowców na Białoruś jest wzmocnienie kontroli Kremla nad tym krajem.Фото: FOTOGRIN / Shutterstock

Rzeczpospolita: Die Angst vor dem Verlassenwerden

Nach fast anderthalb Jahren Krieg in der Ukraine ist ein deutlicher Wandel in der Stimmung der US-amerikanischen Gesellschaft zu erkennen, schreibt in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita der Politologe Marek Cichocki. Zu Beginn des Krieges, erinnert der Autor, hätten 62 Prozent der US-Bevölkerung die materielle und finanzielle Hilfe für die kämpfende Ukraine unterstützt. Heute seien, laut einer aktuellen Umfrage für CNN, 51 Prozent der Meinung, dass Amerika bereits genug für Kiew getan hat.

Der anhaltende Krieg, die Ermüdung durch das Thema und insbesondere die zunehmende Bedeutung der Innenpolitik im Hinblick auf die anstehenden Präsidentschaftswahlen, lesen wir weiter, würden ihre Spuren hinterlassen. Und aus genau diesen Gründen werde der Kreml in den kommenden Monaten, unabhängig von der Lage an der Front, kaum an einem Abkommen zur Kriegsbeendigung interessiert sein. Stattdessen werde die Bereitschaft zur Eskalation in verschiedenen Formen steigen. Denn die Zeit spiele den Russen in die Hände.

Von einem Rückzug Amerikas könne zwar keine Rede sein. Es gehe schließlich um die zukünftige Position des amerikanischen Imperiums, auch im Hinblick auf den Wettbewerb mit China. Aber angesichts der sich ändernden Stimmung im Land und der bevorstehenden Wahlen werde der Druck wachsen, Wege zu suchen, den Krieg zu beenden oder zumindest einzufrieren. Zudem werde, sowohl bei Demokraten als auch Republikanern, die Überzeugung wachsen, dass Europa schrittweise die Verantwortung für die Verteidigung seiner östlichen Grenzen übernehmen muss. Frankreich sei zu weit entfernt, Deutschland werde immer zögern. Angesichts der Stimmung in den großen europäischen Ländern eröffne sich für Polen die Möglichkeit, seine Position in Europa erheblich zu stärken, eine Chance, die Warschau nicht versäumen sollte, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Wo sind die Grenzen der Verfassungswidrigkeit?

Ein wichtiges innenpolitisches Thema sind die Kontroversen rund um einen Tweet von Gesundheitsminister Adam Niedzielski. Der Politiker hatte darin den Inhalt des Rezepts eines Arztes aus Poznań veröffentlicht, um sich gegen Vorwürfe gegen die Regelungen zu elektronischen Rezepten zu wehren, die die Ausstellung von Rezepten erschweren. 

Bei viel gutem Willen könne man die vorherigen Situationen, in denen das Datenschutzrecht von den Regierenden verletzt worden ist, mit Naivität oder Beamtenfehlern rechtfertigen. Die Situation, in der der Gesundheitsminister bewußt verrät, welche Medikamente eine konkrete Person einnehme, könne man durch nichts rechtfertigen, schreibt dazu ebenfalls in der Rzeczpospolita die Publizistin Ewa Szadkowska. 

Jedes Krankenhaus, das solche Informationen auch nur versehentlich veröffentlicht hätte,  so die Autorin, müsste mit einer Strafe durch den Datenschutzbeauftragten und dem Risiko eines Skandals rechnen. Könnte es sein, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen, die sie kürzlich selbst gelobt habe, dazu diene, schnell und einfach Zugang zu den sensibelsten Informationen über den Gesundheitszustand von Bürgern zu erhalten, insbesondere zu denen, die der Regierung nicht gefallen? Sie hoffe, sich zu irren. Davon würde sie jedoch erst der Rücktritt von Adam Niedzielski überzeugen, so Ewa Szadkowska in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Niedzielski verärgert Regierungspartei

Mit dem Tweet habe Niedzielski vermutlich zumindest seine Chancen auf einen ersten Platz auf den Wahllisten der Regierungspartei PiS zunichte gemacht, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. Wie ein Gesprächspartner der Zeitung aus der Regierungspartei zugibt, würde die Wut auf Niedzielski innerhalb der Partei zunehmen. Nach dem Tweet am Freitag würden die PiS-Politiker einander ein Mem zuschicken, auf dem PiS-Chef gemeinsam mit dem Abgeordneten der Partei Radosław Fogiel vor dem Computer sitzt und ihn bittet: “Und jetzt prüfe die Rezepte von Tusk”. Offiziell würden die PiS-Politiker die Aussagen des Ministers auf Twitter nicht kommentieren, so Gazeta Wyborcza. 

Sieci: Wichtigste Wahlen seit 1989

Indes hat die Regierungspartei die Debatten über die Ausrichtung der Wahlkampagne beendet, sagt Vize-Premier und PiS-Chef Jarosław Kaczyński in einem Gespräch mit dem nationalkonservativen Wochenmagazin "Sieci". Die Zeit für Diskussionen sei vorbei. "Es ist jetzt Zeit, das umzusetzen, was wir beschlossen haben", so Kaczyński..

Geht es nach dem Parteichef, müsse jedes Parteimitglied nun innerhalb des festgelegten Rahmens der Botschaft handeln, mit der die Partei an die Öffentlichkeit gehe. Diese sei klar, direkt und durch Fakten belegt. Und zwar, dass nur die PiS in Fragen wie Arbeitsplatzschutz, wirtschaftlicher Sicherheit, dem Umgang mit Russland unter Putin, der Wiederherstellung von Militär, Sicherheit und Souveränität, dem Schutz der polnischen Bevölkerung, der Aufrechterhaltung sozialer Leistungen, Unterstützung für Familien und im Widerstand gegen den Druck aus Brüssel vertrauenswürdig sei.

"Die Auseinandersetzung ist intensiv und der Gegner greift sehr brutal an. Wir müssen effektiv reagieren. Das ist unsere Pflicht gegenüber Polen", so der Politiker.

Kaczyński ruft seine Anhänger und Sympathisanten in dem Gespräch zur Online-Aktivität auf. "Wir müssen nicht nur auf nationaler, sondern auch auf regionaler Ebene im Internet kämpfen", betonte er. Der Erfolg Polens in den letzten Jahren in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, so Kaczyński weiter, sei beeindruckend gewesen. Neben diesen positiven Aspekten müssten aber auch die Risiken thematisiert werden, die für Polen tragisch enden könnten, falls sie Wirklichkeit würden. "Polen ist in Gefahr. Die russische Aggression gegen die Ukraine hat uns direkt militärisch bedroht. Besonders spürbar wurde das in Weißrussland mit der Präsenz der Wagner-Gruppe. Ihre Absichten sind nicht friedlich", so der Chef der Regierungspartei.

Geht es nach Kaczyński, sei der aktuelle Wahlkampf der brutalste in der Geschichte der Dritten Republik Polen. Bürgerplattformchef Tusk würde sprachliche Panikmache betreiben, die die Realität falsch darstelle und auf Emotionen statt auf einem Programm oder Fakten basiere. Dies seien die wichtigsten Wahlen seit 1989, da Polen und die Polen viel zu verlieren hätten. "Das Risiko ist größer denn je. Wir könnten alles verlieren, wofür wir Polen so hart gearbeitet haben. Tusk verdient keine zweite Chance. Er wird Polen erneut scheitern lassen und vielleicht versuchen, unsere Flagge niederzulegen", so Kaczyński in “Sieci”. 

Dziennik Gazeta Prawna: PiS könnte trotz möglicher Wahlniederlage noch lange Einflüsse in wichtigen Institutionen behalten

Selbst wenn die Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) die kommenden Herbstwahlen verliert, könnte sie dank einer Reihe von Institutionen noch bis 2028 einen erheblichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte haben, schreibt indes das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Einige dieser Institutionen seien die Nationalbank Polens (NBP), der Rundfunkrat (KRRiT), der Nationale Medienrat sowie das Amt für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz (UOKiK). In einigen Fällen, wie beim Nationalen Justizrat, könnte der Einfluss der PiS etwas kürzer bis 2026 andauern.

Dieser Zeitplan, so das Blatt, ergebe sich nicht nur aus den normalen Amtszeiten, sondern auch aus Änderungen in lang etablierten Institutionen und der Schaffung neuer Strukturen. Allein in diesem Jahr habe die PiS in mehreren Bereichen die Spielregeln geändert. Sie habe bedeutende Befugnisse vom Generalstaatsanwalt auf den Landesstaatsanwalt übertragen, der nur mit Zustimmung des Präsidenten abberufen werden könne. Sie habe auch eine fünfjährige Amtszeit für den aktuellen Chef des Wettbewerbs- und Verbraucherschutzamtes eingeführt. Die Liste solcher Änderungen gehe weiter.

"Oftmals wird die Instanz, die jemanden für eine Position ernennen oder entlassen kann, zu einer solchen geändert, bei der die Regierungspartei sicherer ist, dass sie ihre Interessen schützt und von einer ihr wohlgesonnenen Person besetzt wird. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Rolle des Landesstaatsanwalts", urteilt der Rechtsanalyst des Bürgerentwicklungsforums, Patryk Wachowiec. 

Zudem könnte die PiS versuchen, den Einfluss auf einige Institutionen für die nächsten Jahre zu sichern, indem sie Beamte, deren Amtszeit bald ende, vorzeitig austausche. 

Die Opposition sei sich bewusst, dass ein möglicher Machtwechsel nach der PiS schwierig sein werde, besonders angesichts der Tatsache, dass sie in der ersten Hälfte der Legislaturperiode immer noch unter Präsident Andrzej Duda stehen werde. Trotzdem seien die Oppositionellen zuversichtlich, dass viele Hindernisse umgangen werden können, so Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau