Rzeczpospolita: Verschwindende Änderungen russischer Grenzen
Innerhalb eines Tages habe das russische Verteidigungsministerium eine diplomatische Krise in den Beziehungen zu fast allen Anrainerstaaten des Kremls verursacht. Und danach habe sich Moskau prompt ohne ein Wort zurückgezogen, erinnert Andrzej Łomanowski in der konservativ-liberalen Rzeczpospolita.
Wie der Autor erinnert, habe das russische Verteidigungsministerium einen Entwurf für eine Regierungsverordnung zur Änderung der Orte vorgelegt, von denen aus die Seegrenze, der Bereich der Hoheitsgewässer oder die ausschließliche Fischereizone berechnet würden. Es habe jedoch keine Liste mit geografischen Koordinaten veröffentlicht und das Problem offen gelassen, ob die Grenzen auf Kosten der Nachbarn geändert würden. Dies habe sofort zu nervösen Reaktionen der baltischen Staaten geführt. Als „eine Provokation zur Einschüchterung der Nachbarn“, habe das litauische Außenministerium den Schritt bezeichnet. „Wir beobachten die Angelegenheit genau, aber in Bezug auf Grenzen sollte man von Russland nichts Gutes erwarten“, kommentierte die Situation der Sprecher des polnischen Auswärtigen Amtes Paweł Wroński im Gespräch mit der „Rzeczpospolita“.
Wie Łomanowski beobachtet, sei der Konflikt vom Beginn der russischen Militärmanöver mit taktischen Nuklearladungen begleitet worden. In deren Reichweite hätten sich eventuell alle Länder (von Finnland bis Polen) befunden, deren Grenzen die Armee des Kremls habe verschieben wollen. Den seltsamen Vorschlägen und beunruhigenden Militärübungen sei auch die Störung von GPS-Signalen von Flugzeugen, die über der Ostsee geflogen seien, gefolgt. Aus diesem Grund habe Estland wahrscheinlich seinen Flughafen in Tartu schließen müssen, da er vermutlich aus der Region Pskow – der Basis der russischen Luftlandetruppen – gestört worden sei. Die meisten dieser Vorfälle hätten sich jedoch rund um die Region Kaliningrad ereignet.
„Es hat nichts Politisches an sich, aber die politische Situation hat sich geändert“, habe der Kremlsprecher über den Vorschlag des Verteidigungsministeriums gesagt, ohne etwas zu erklären. Er habe hinzugefügt, dass daraus die „Notwendigkeit der Sicherstellung der Sicherheit“ resultiere. Am Nachmittag sei das Problem dann so leise, wie es aufgetaucht war, wieder verschwunden. Ohne jegliche Erklärungen sei der Entwurf des Verteidigungsministeriums von der russischen Regierungsseite für rechtliche Informationen entfernt worden. Es sei unklar, ob er weiter diskutiert werde, aber dann nicht öffentlich, oder ob er vollständig zurückgezogen worden sei. Ebenso, wie unklar gewesen sei, wieso sich überhaupt das Verteidigungsministerium der russischen Föderation mit der Änderung der Grenzen beschäftigt habe und nicht das Auswärtige Amt, so Andrzej Łomanowski in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Finnen befürchten Zwischenfälle, wie im Südchinesischen Meer
Das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna zitiert den ehemaligen finnischen Botschafter in Russland, Hannu Himanen. Dieser, lesen wir, habe der Zeitung „Helsingin Sanomat“ gesagt, dass der Kreml auf diese Weise die Reaktion der Länder der Region teste und der Vorschlag Teil hybrider Maßnahmen sei, die zu Spannungen führen könnten, wie man sie aus dem Südchinesischen Meer kenne. Dort komme es zu Kollisionen von Ansprüchen aus zehn Hauptstädten. Dies führe nicht selten zu Zwischenfällen, hauptsächlich unter Beteiligung von Schiffen und Booten aus China, den Philippinen, Taiwan und Vietnam, zitiert das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna den ehemaligen finnischen Botschafter in Russland.
Dziennik/Gazeta Prawna: Die Ukraine hat noch Reserven
Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass bereits alle willigen Ukrainer im Militär dienen und es keine weiteren Rekrutierungsmöglichkeiten gibt, zeigen neue Daten und Entwicklungen ein anderes Bild, schreibt Michał Potocki, ebenfalls in Dziennik/Gazeta Prawna. Wie der Autor erinnert, seien seit dem 18. Mai alle ukrainischen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren verpflichtet, ihre Kontaktdaten bei den territorialen Rekrutierungszentren (TCK) zu aktualisieren. Dies diene der Aktualisierung des Oberih-Registers (Amulett), einer zentralen Datenbank für Einberufungen, um die Mobilisierung zu beschleunigen. Die ukrainische Armee habe bisher über Personalmangel und bürokratische Hindernisse bei der Auffüllung der Truppen geklagt. Schätzungen zufolge sollten in naher Zukunft weitere 500.000 Personen in die Streitkräfte eingegliedert werden.
Die neue App Rezerw+, die die Aktualisierung der Kontaktdaten erleichtere, lesen wir, habe innerhalb der ersten 10 Stunden 150.000 Nutzer verzeichnet. Bis Dienstag hätten über eine Million Personen die App genutzt, davon 700.000 zur Aktualisierung ihrer Daten im Oberih-Register. Wie Potocki betont, würden diese Zahlen belegen, dass viele Ukrainer, auch wenn sie sich nicht freiwillig für den Militärdienst melden, bereit sind, sich bei einer staatlichen Aufforderung einberufen zu lassen. Die Strafen für die Nichtaktualisierung der Daten seien derzeit noch gering, jedoch seien strengere Sanktionen geplant. Ab Juni soll die App Rezerw+ eine neue Funktion zur Stellenvermittlung innerhalb der Armee erhalten. Dadurch können Nutzer Positionen entsprechend ihrer Qualifikationen, wie Fahrer, Drohnenoperator oder Programmierer, auswählen und sich direkt bewerben.
Laut einer Analyse von Texty.org.ua hätten vor der russischen Invasion 10,46 Millionen Männer im Alter von 18 bis 59 Jahren in der Ukraine gelebt. Davon würden bereits 1,1 Millionen unter Waffen stehen, und 200.000 bis 300.000 sind gefallen oder schwer verwundet. Weitere Gruppen, wie Menschen mit Behinderungen, Studenten und Väter von mehreren Kindern, seien von der Mobilisierung ausgenommen. Insgesamt würden 4,89 Millionen in der Mobilisierungsreserve zur Verfügung stehen, von denen viele bereits die App Rezerw+ genutzt hätten.
Die Reserven seien vorhanden, man müsse nur nach ihnen greifen. Vor diesem Hintergrund erscheine die Einstellung der konsularischen Betreuung für Männer im Ausland, um sie zur Rückkehr zu zwingen, noch absurder. Dieser Schritt, der verzweifelt wirke, habe sich als reiner Populismus und Reaktion auf die gesellschaftlichen Stimmungen erwiesen. Die Behörden seien auf der Welle der wachsenden Spannungen zwischen denjenigen, die im Land geblieben, und denen, die vor dem Krieg geflohen seien, mitgeschwommen. Sie hätten die Stimmung im Namen ihrer eigenen Popularität angeheizt. Die Regierung habe selbst Daten geliefert, die dies eindeutig gezeigt hätten, so Michał Potocki in Dziennik/Gazeta Prawna.
Autor: Adam de Nisau