Rzeczpospolita: Fiskalische Anpassungen notwendig
Keine neuen Sozialprogramme, keine Möglichkeit, das Versprechen einer Anhebung des steuerfreien Betrags auf 60.000 PLN zu erfüllen – dies sind die möglichen Folgen des Verfahrens, dessen Verhängung gegen Polen die Europäische Kommission am Mittwoch als gerechtfertigt angesehen habe, schreibt in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Im Jahr 2023, erinnert das Blatt, habe das Defizit im öffentlichen Finanzsektor 5,1 Prozent des BIP betragen und habe das EU-Limit von 3 Prozent des BIP damit weit überschritten. Detaillierte Vorgaben aus Brüssel seien noch nicht bekannt. Sicher sei jedoch, dass eine fiskalische Anpassung notwendig sein werde, so Rzeczpospolita.
Gazeta Polska Codziennie: Tusk hat wieder nichts erreicht. Wird die EU uns zwingen, den Gürtel enger zu schnallen?
Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie stellt das angekündigte Verfahren als große Niederlage der Regierung Tusk vor. Tusk habe wieder nichts erreicht, so der Publizist des Blattes Jacek Lizinkiewicz in seinem Kommentar. In den ersten sechs Monaten seiner Regierungszeit, so der Autor, habe Tusk bereits eine Krise in den öffentlichen Finanzen ausgelöst. Dabei habe doch alles ganz anders sein sollen. Im Wahlkampf habe Donald Tusk versichert, dass Geld zur Erfüllung der Versprechen vorhanden sei und alles durch einige einfache Entscheidungen erreicht werden könne. Doch nun sehe die Realität anders aus. „Das Rekorddefizit für die ersten fünf Monate des Jahres 2024 ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Jahres 2023 um über 32 Milliarden PLN höher! Wie kann es sein, dass die derzeitige Regierungskoalition nichts Konkretes für die Polen getan hat? Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel ist kein Erfolg, und dennoch haben sie ein so großes Haushaltsloch gegraben“, sagt Robert Gontarz, Abgeordneter der Partei Recht und Gerechtigkeit.
Das sei eine schlechte Nachricht für die Polen. Als die Regierung Tusk zuletzt gegen das Defizit gekämpft habe, habe sie die Mehrwertsteuer erhöht, Geld aus den Rentenfonds OFE gestohlen, die Ausgaben für das Militär reduziert und das Rentenalter erhöht. „Wir befürchten ähnliche Maßnahmen“, fügt Zbigniew Kuźmiuk, ebenfalls von der PiS, im Gespräch mit dem Blatt hinzu.
Rzeczpospolita: Ein schmerzhaftes Erbe der PiS-Herrschaft
Ein ganz anderes Bild zeichnet der Publizist Piotr Skwirowski von der Rzeczpospolita. Seine Pointe: Die Zeit der Abrechnung für die freizügige Verteilung öffentlicher Gelder durch die Regierungen von Beata Szydło und Mateusz Morawiecki sei nun gekommen. Wie Skwirowski hervorhebt, habe das Defizit im Jahr 2023, nicht 2024, mit 5,1 Prozent des BIP deutlich über dem zulässigen Niveau von 3 Prozent für EU-Länder gelegen und die Reaktion der EU-Kommission ausgelöst.
Es, so der Autor, sei bereits das zweite Mal, dass die populistischen Regierungen der PiS-Partei zur Folge hätten, dass Polen dem EU-Verfahren wegen übermäßigen Defizits unterliege. Dies sei auch nach ihrer ersten Regierungszeit in den Jahren 2005–2007 der Fall gewesen, als die weltweite Finanzkrise die Haushaltseinnahmen zusätzlich belastet habe. Damals habe Polen einen mehrjährigen schmerzhaften Sparprozess durchlaufen müssen. Zu Beginn ihrer zweiten Regierungszeit, so der Autor, habe die PiS dadurch eine geordnete Lage der öffentlichen Finanzen sowie eine gute wirtschaftliche Konjunktur übernommen. Während andere Länder sich jedoch auf mögliche schlechtere Zeiten vorbereitet, Defizite abgebaut und sogar Überschüsse erwirtschaftet hätten, habe in Polen eine Zeit der freizügigen Verteilung öffentlicher Gelder begonnen, frei nach dem Motto: „Lasst die Seele baumeln, es gibt keine Hölle.“
Dann seien jedoch schlechte Zeiten angebrochen. Zuerst die Pandemie, dann der Krieg an unserer östlichen Grenze, der eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben erzwungen habe. Die Europäische Kommission werde dies bei der Auferlegung von Maßnahmen zur Defizitreduktion berücksichtigen. Notwendig seien diese Maßnahmen trotzdem, denn die wirtschaftliche Belebung und das BIP-Wachstum würden zwar helfen, aber das Problem nicht lösen. Es werde notwendig sein, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen und möglicherweise die Steuern zu erhöhen. Wie stark diese Maßnahmen ausfallen, werde sich im Herbst zeigen. Ein schwacher Trost sei, dass die verstärkte EU-Aufsicht über die Finanzen auch einige andere Länder, darunter Ungarn, betreffen werde.
Gazeta Wyborcza: Dagegen und sogar dafür
Die linksliberale Gazeta Wyborcza widmet ihre heutige Ausgabe dem Weltflüchtlingstag. Wie das Blatt in seinem Aufmacher erinnert, habe der große Akt der Solidarität gegenüber Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine nach Beginn der russischen Invasion weltweit Bewunderung hervorgerufen. Vor zwei Jahren hätten 75 Prozent der Polen Menschen geholfen, die vor dem Krieg zu uns geflohen seien. 76 Prozent hätten sich keine Sorgen über die Anwesenheit von Ausländern in Polen gemacht und 82 Prozent hätten nicht geglaubt, dass diese die polnische Kultur, Traditionen oder Werte bedrohen könnten.
Laut einer aktuellen Umfrage des Instituts Opinia24 für die „Wyborcza” sei diese Einstellung inzwischen jedoch Geschichte. Heute würden 42 Prozent der Polen glauben, dass wir keine Flüchtlinge aufnehmen sollten. Obwohl 35 Prozent die Gewährung von Asyl für Bürger benachbarter Länder wie der Ukraine und Belarus akzeptieren würden, seien nur 14 Prozent der Polen bereit, auch Flüchtlinge aus entfernteren Teilen der Welt aufzunehmen.
„Es zeigt sich, dass 30 Jahre Aufbau der polnischen Demokratie und 20 Jahre in der Europäischen Union zu kurz sind, um die Denkweise der Polen grundlegend zu verändern. Wir müssen daran denken, dass die Zeit der Volksrepublik Polen (PRL) eine Zeit der Homogenisierung der Gesellschaft war. Alles, was vom Standard abwich, war unerwünscht“, kommentiert Prof. Małgorzata Myśliwiec, Politologin an der Universität Schlesien.
Ganz anders sieht diese Daten Dr. Oleksandr Gladun, stellvertretender Direktor des Instituts für Demografie und Lebensqualitätsprobleme an der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Seiner Meinung nach zeige die Tatsache, dass die Hälfte der Polen weiterhin offen für Flüchtlinge sei, die Toleranz der polnischen Gesellschaft und ihre Loyalität gegenüber den Ukrainern. „Man hätte erwarten können, dass die Unterstützung für Flüchtlinge nach zweieinhalb Jahren Krieg stark nachlassen würde. Diese Ergebnisse sind positiv überraschend“, meint er.
Und obwohl 59 Prozent die Anwendung illegaler Pushbacks gegen Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze unterstützen würden, so die Zeitung weiter, hätten gleichzeitig fast 80 Prozent der Befragten nichts dagegen, dass Flüchtlinge im Handel und im Dienstleistungssektor arbeiten oder uns medizinisch versorgen. Flüchtlingen als Lokalpolitikern stehe die Gesellschaft noch skeptisch gegenüber: 35 Prozent seien dafür, während 58 Prozent dagegen seien. Am ablehnendsten gegenüber diesem Vorschlag seien die Bewohner von Podkarpackie (77 Prozent dagegen), während die Einwohner von Podlasie am enthusiastischsten seien (52 Prozent dafür). Einen Flüchtling als Nachbarn würden dagegen 75 Prozent der Befragten akzeptieren, und als Schwiegersohn 64 Prozent. Diese Zahlen würden den Stereotypen widersprechen, dass Flüchtlinge in Polen nicht willkommen seien, sagt Dr. Gladun im Gespräch mit Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau