Deutsche Redaktion

Nord-Stream-Explosion hat politischen Konsens in Polen über den Ukraine-Krieg nicht gebrochen

20.08.2024 12:20
Die Tageszeitung Rzeczpospolita berichtet, dass trotz Spekulationen über eine mögliche Beteiligung Polens an der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline der politische Konsens in Polen über den Ukraine-Krieg ungebrochen bleibt. Und: Werden sich die Russen von Putin abwenden?
Wyciek z gazociągu Nord Stream na Morzu Bałtyckim
Wyciek z gazociągu Nord Stream na Morzu BałtyckimForsvaret.dk

Rzeczpospolita: Nord-Stream-Explosion hat politischen Konsens in Polen über den Ukraine-Krieg nicht gebrochen

Die liberal-konservative Tageszeitung Rzeczpospolita kommentiert Berichte, die Polen möglicherweise für die Sprengung der deutsch-russischen Nord-Stream-Gasleitung verantwortlich machen. Michał Szułdrzyński schreibt, dass die Äußerungen von Premierminister Donald Tusk und dem Sicherheitsberater des Präsidenten, Jacek Siewiera, zeigen, dass Polen in Fragen der Sicherheit und der Allianz mit der Ukraine trotz starker innenpolitischer Auseinandersetzungen geeint bleibt.

Obwohl die Explosion der Gaspipeline Nord Stream 2 mittlerweile fast zwei Jahre zurückliegt, bleibt der Vorfall umstritten. Seit Beginn wurde nicht nur darüber spekuliert, wer den Sabotageakt durchgeführt hat, sondern auch, wer ihn politisch abgesegnet haben könnte. Diese Fragen wurden zuletzt erneut aufgeworfen, nachdem westliche Medien Geheimdienstler zitierten, die behaupteten, Ukraine und sogar Polen könnten in den Vorfall verwickelt sein.

Ein ehemaliger Chef des deutschen Geheimdienstes behauptete, dass die Operation von Präsident Andrzej Duda genehmigt worden sei. Szułdrzyński weist darauf hin, dass dieser Deutsche ein Befürworter der Russland-Nähe aus der Zeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder gewesen sei. Zudem sei Polens Präsident nicht befugt, eine „politische“ Genehmigung für die Aktionen der Geheimdienste zu erteilen; in Polen entscheidet das Staatsoberhaupt nur über ausländische Militäreinsätze. Die Geheimdienste unterstehen dem Ministerpräsidenten.

Szułdrzyński fragt, warum derzeit versucht werde, die Situation in dieser Frage neu aufzurollen. Vielleicht, um die NATO-Verbündeten zu spalten oder interne Spannungen in Polen zu schüren. Glücklicherweise scheinen die Politiker der Regierungskoalition den jüngsten Enthüllungen keinen Glauben zu schenken. Donald Tusk habe in den sozialen Medien die Auftraggeber des Baus der Nord-Stream-Pipelines aufgefordert, sich zu entschuldigen und zu schweigen. Auch der Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros des Präsidenten betonte, dass in Polen ein vollständiger Konsens zwischen den Parteien in dieser Frage herrsche.


Von der Regierung und dem Präsidentenpalast komme daher ein klares Signal: Polen lasse sich in dieser Angelegenheit nicht spalten oder innenpolitisch zerstreiten. Die oppositionelle PiS und die regierende PO hätten unterschiedliche Vorstellungen von Polen, seiner Rolle in Europa und der Bedeutung von Begriffen wie „Demokratie“ und „Rechtsstaatlichkeit“. Dies führe seit Jahren zu politischen Auseinandersetzungen. Es sei jedoch positiv, dass es Bereiche gebe, die von diesem Streit ausgenommen seien. Die klare Botschaft sei, dass Polen sich nicht auf zweideutige Spielchen einlasse, so das Fazit von Michał Szułdrzyński für Rzeczpospolita.

Dziennik: Werden sich die Russen von Putin abwenden? 

Laut der Online-Tageszeitung Dziennik hat die erfolgreiche Offensive der Ukraine in der Region Kursk nach Ansicht eines polnischen Dozenten an der Stockholmer Verteidigungsuniversität (FHS) die Russen erschüttert und historische Wunden aufgerissen. Die Vorstellung von der Unverletzlichkeit des russischen Territoriums sei erschüttert worden. Piotr Wawrzeniuk glaubt, dass dies bleibende psychologische Spuren in der russischen Gesellschaft hinterlassen wird. In der russischen Wahrnehmung habe es eine „Entheiligung des russischen Territoriums“ gegeben, da seit 80 Jahren kein Staat auf russischem Boden Krieg geführt habe.

Der Historiker vermutet, dass die ukrainische Offensive auf russischem Gebiet den Gesellschaftsvertrag zwischen dem russischen Volk und dem russischen Diktator Wladimir Putin brechen könnte. Putin habe den Russen wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand als Gegenleistung für den Verzicht auf bürgerliche Freiheiten sowie territoriale Expansion und militärische Erfolge versprochen.

Wawrzeniuk vergleicht die Einnahme von Kursk durch die Ukraine mit der sowjetischen Niederlage im Krieg in Afghanistan. Die Unzufriedenheit über den Einsatz von Wehrpflichtigen im Afghanistan-Krieg sei ein Faktor für den Zusammenbruch der Sowjetunion gewesen.

Gleichzeitig lobt der Historiker das Vorgehen der Ukraine. Kiew habe gezeigt, dass es „mutige und innovative Entscheidungen treffen und umsetzen“ könne. Russlands Denken über die Unverletzlichkeit seines eigenen Territoriums sei durch die Einnahme von Kursk zu einem mentalen Alptraum geworden.

Wawrzeniuk hebt hervor, dass Russland bislang von der Existenz „roter Linien“ bezüglich der militärischen Unterstützung durch den Westen profitiert habe, was den Umfang der Militärhilfe für die Ukraine verzögert und begrenzt habe. Dies habe vielen ukrainischen Bürgern das Leben gekostet und Russland habe gleichzeitig die Ukraine verwüstet.

Die westlichen Verbündeten hätten ihre Haltung jedoch geändert und zunächst Panzer und dann F-16-Kampfjets geliefert. Die USA hätten nun auch den Einsatz ihrer Systeme auf russischem Gebiet erlaubt.

Nach Ansicht des Experten sollte der Westen angesichts der neuen Strategie der Ukraine auf dem Schlachtfeld seine Militärhilfe an Kiew vorbehaltlos fortsetzen, Russlands Möglichkeiten zur Umgehung der Sanktionen einschränken und den ukrainischen Luftraum schützen. Langfristig würden die Ukraine, der Westen und die russische Gesellschaft vom Scheitern des russischen imperialen Projekts profitieren, urteilt Wawrzeniuk.

Wprost: Deutsches „Alcatraz” für Migranten an Polens Grenze?

Das Magazin Wprost seinerseits schreibt über die Migrationskrise an Polens und Deutschlands Grenzen. Seit Oktober 2023 führe Deutschland wieder Kontrollen an seiner Grenze zu Polen ein, wo die Zahl der aus Belarus eindringenden Migranten angesichts Lukaschenkos und Putins hybridem Krieg deutlich gestiegen sei. Seitdem führe die Polizei stichprobenartige Kontrollen durch und nehme täglich Hunderte von Migranten fest. Wie Medien berichteten, verlaufe die Hauptschmuggelroute durch Polen.

Wie wir lesen, drohe nun dem deutschen Dorf Küstrin-Kietz und der nahe gelegenen polnischen Stadt Kostrzyn an der Oder ein Migrantenzentrum auf der Oderinsel. Früher waren dort sowjetische Truppen stationiert. Die Pläne zum Bau des Migrantenlagers in Küstrin-Kietz hätten Proteste von Anwohnern ausgelöst. Sie würden befürchten, dass ein offenes Lager das Dorfleben negativ beeinflussen und Touristen abschrecken könnte. Auch der Bürgermeister, Wolfgang Henschel, sei gegen den Bau. Im Gespräch mit polnischen Medien habe er es eine Art von Alcatraz an der Oder“ genannt.

Der Bürgermeister von Kostrzyn an der Oder, Andrzej Kunt, sei ebenfalls gegen die Pläne. Ihm nach könnte dieses offene Gefängnis  zu ständigen Grenzkontrollen führen, die den Einwohnern, die täglich die Grenze überqueren, das Leben erschweren würden. Der Bau des Lagers könnte auch die erneute Schließung der Grenzen wie zur Pandemie bedeuten. Ein großer Teil der Migranten könnte außerdem auch in Polen landen, heißt es am Schluss im Wochenblatt.


Autor: Piotr Siemiński