Deutsche Redaktion

„Der Westen unterschätzt immer noch das Ausmaß der russischen Bedrohung“

30.08.2024 12:24
In der Presseschau am Freitag, geht es um die Entscheidung der Wahlkommission, die staatlichen Zuschüsse für die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu kürzen. Die Verhaftung des russischen Telegram-Gründers Pawel Durow und sprechen über das Buch Who Will Defend Europe von Keir Giles vom Londoner Think Tank Chatham House.
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Bild:Foto: skyNext/shutterstock

Rzeczpospolita: Wird die gegen die PiS verhängte Strafe die politischen Spielregeln in Polen verändern?

Die ehemalige Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) hat wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung einen Großteil ihrer staatlichen Zuschüsse verloren. Das entschied die Wahlkommission am Donnerstag. In den kommenden Jahren sollen die Zuschüsse jährlich um umgerechnet 2,3 Millionen Euro gekürzt werden.

Die Entscheidung der staatlichen Wahlkommission (PKW) könnte ein Instrument zur Schaffung neuer und besserer Standards für den Wahlkampf werden, schreibt Michał Szułdrzyński in der Tageszeitung Rzeczpospolita. Die Partei Recht und Gerechtigkeit betrachtet die Entscheidung jedoch nicht als verdiente Strafe, sondern als politische Schikane. Sie baut ein Narrativ der politischen Verfolgung in Polen auf.

Die Entscheidung des staatlichen Wahlkomitees habe jedoch weitreichende Folgen für die polnische Politik, heißt es weiter. Sie könne nämlich, wie jede Strafe, auch lehrreich sein. Der Durchbruch hierbei sei, dass die Strafe nicht - wie bisher - aufgrund von Buchhaltungsfehlern verhängt werde. Sie gehe über die Buchhaltungsunterlagen hinaus. Es habe sich herausgestellt, dass die PiS nicht nur aus dem Budget des Wahlkomitees, sondern auch aus dem öffentlichen Haushalt ihren Wahlkampf finanziert habe. Der Autor hoffe somit, dass aus dieser Strafe eine Lehre gezogen werde. Wie Szułdrzyński schreibt, habe jemand einmal gesagt, dass Skandale in Polen das öffentliche Leben verbessern. Denn nach dem Ausbruch eines Skandals würden die Grenzen für das Handeln von Politikern enger gezogen und ihre Handlungen öffentlich stigmatisiert.

Laut Szułdrzyński sei die Zeit der Regierung der PiS jedoch ein Moment gewesen, in dem viele der Grenzen des Vorstellbaren verschoben worden seien. In diesem Sinne sollte die Bilanz von acht Jahren PiS-Herrschaft auch bestimmte Standards wiederherstellen – und zwar Standards für alle. Eine Nulltoleranz für jegliche Parteiaktivitäten am Rande des Gesetzes sollten sowohl die Regierungs- als auch die Oppositionsparteien verfolgen, lesen wir im Blatt. So sollten zum Beispiel vor der nächsten Wahl alle zweideutigen lokalen Veranstaltungen, die in der Grauzone zwischen Wahlkampf und normaler politischer Tagesarbeit liegen, abgeschafft werden, lautet Michał Szułdrzyńskis Schlussfolgerung in der Rzeczpospolita.

Wprost: Kluger Schachzug der Franzosen im Fall Durow 

Jakub Mielnik schreibt für das Wochenblatt „Wprost“ über die Verhaftung des russischen Telegram-Erfinders. Wie wir lesen, gibt es reichlich Beweise für seine Zusammenarbeit mit dem Kreml. Es sei jedoch leicht, diese Beweise mit Klagen über den Angriff auf die Meinungsfreiheit zu übertönen, die Pawel Durow angeblich verteidige. Die schweren strafrechtlichen Anklagen gegen ihn durch die Franzosen seien jedoch ein cleverer Schachzug, der das Ausmaß der russischen Infiltration des Kryptowährungs- und Social-Media-Marktes aufdecken könnte, erfahren wir.

Der estnische investigative Journalist Holger Roonemaa habe vor einigen Monaten provokativ über Telegram nach einem Job gesucht. Er soll sehr schnell Angebote erhalten haben, illegale Einwanderer aus Weißrussland nach Deutschland zu schmuggeln, Rentner in der Schweiz zu erpressen, Geld unbekannter Herkunft auf seinem eigenen Konto zu waschen, mehrere lukrative Drogengeschäfte zu machen und sogar ein Foto seines eigenen Gliedes für großes Geld zu verschicken. „Es sei ziemlich viel Aufwand für eine Website“, so Mielnik, „deren Schöpfer als unerschütterlicher Kämpfer für die Meinungsfreiheit gilt.“ Heute müsse sich der aus St. Petersburg stammende Russe zweimal pro Woche bei der Polizei melden und dürfe Frankreich nicht mehr verlassen.

Wie weiter berichtet wird, sei Moskau mehr über Durows Verhaftung besorgt als über die ukrainische Offensive auf Kursk. Duma-Abgeordnete sollen sogar Petitionen an die von Moskau verschuldete Marine Le Pen geschrieben haben, damit die französische Oppositionsführerin Durow in ihre Obhut nehme. Der Kreml behaupte sogar, dass Durows Verhaftung den Instant-Messaging-Dienst Telegram unter amerikanische Kontrolle bringen solle. Um diese These zu untermauern, habe der Kreml sogar den für eines der größten Lecks von Geheimdienstdaten in der Geschichte der USA verantwortlichen Whistleblower Edward Snowden aktiviert. Der sich in Russland versteckende Amerikaner verteidige Durow natürlich als Opfer des US-Imperialismus. Dies führe zu ähnlichen Reaktionen bei einer großen Zahl von Verfechtern von Verschwörungstheorien weltweit, schreibt Jakub Mielnik abschließend für „Wprost“. 

Dziennik: „Der Westen unterschätzt immer noch das Ausmaß der russischen Bedrohung“ 

Das Online-Blatt Dziennik spricht mit dem Autor und Experten Keir Giles vom Londoner Think Tank Chatham House über dessen neuestes Buch. Darin argumentiert der Brite, dass man in London, wie auch in anderen westeuropäischen Hauptstädten, die Verteidigungsausgaben seit Jahrzehnten als eine der ersten Positionen betrachtet, bei denen man Einsparungen vornehmen kann. Infolgedessen seien die britischen Streitkräfte, entgegen den Zusicherungen der Regierung, wehrlos.

Der sich auf Russland und Sicherheitsfragen spezialisierte Experte stellt in seinem jüngsten Buch Who Will Defend Europe die Frage, ob Europa in der Lage sei, sich gegen die russische Bedrohung zu verteidigen. Seiner Ansicht nach würden nach mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine nur die ehemaligen Ostblockstaaten die russische Bedrohung klar erkennen und ihre Verteidigung aufrüsten. Viele westeuropäische Länder täten dies jedoch nicht. Sie glaubten, dass die geographische Entfernung sie schütze und hofften, dass es weiterhin das Problem anderer Länder bleiben werde.


Bild: Hurst Publishers Bild: Hurst Publishers

In seinem Buch verweist der Autor insbesondere auf Polen und Finnland als Beispiele für das übrige Europa. Diese Länder würden ihre Verteidigungskapazitäten ausbauen, um einen zukünftigen Krieg zu verhindern. Polen führe er als ein Beispiel an, dem andere Länder leichter folgen könnten, wenn sie nur den politischen Willen dazu fänden. Wenn Länder wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien nicht dem Beispiel Polens, Finnlands und der Frontstaaten folgen und ihre Abwehrkräfte verstärken, sei dies eine offene Einladung an Russland, den Weg des Wiederaufbaus seines Imperiums weiterzugehen. Das gefährde uns alle, so der Brite im Gespräch mit dem Blatt.

 


Autor: Piotr Siemiński