Rzeczpospolita: Nimmt die EU den Regionen das Geld weg?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant eine Haushaltsreform, die für Polen und andere Mitgliedstaaten nachteilig sein könnte, warnt in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Tageszeitung Rzeczpospolita. Einem der Zeitung vorliegenden Dokument zufolge schlägt von der Leyen vor, die derzeit 530 EU-Förderprogramme (davon 398 im Bereich der Kohäsionspolitik) durch 27 nationale operationelle Programme zu ersetzen. Dies, so das Blatt, würde bedeuten, dass die Mittel, die bisher direkt an die Regionen flossen und von ihnen verwaltet wurden, künftig von den nationalen Regierungen verteilt würden.
Experten, mit denen die Zeitung inoffiziell gesprochen hat, sehen in diesem Vorschlag die Abschaffung der Regionalpolitik, die von der Leyen offenbar nicht favorisiere. Sie warnen gleichzeitig, dass die Zentralisierung der Mittelvergabe gefährlich sein könnte. Wenn die zentrale Regierung politisch anders ausgerichtet sei als die lokalen Behörden, könnte die Verteilung der EU-Gelder etwa dazu genutzt werden, um politische Verbündete zu belohnen. Zudem plane von der Leyen, die Auszahlung der Gelder an Reformen auf zentraler Ebene zu knüpfen—auch wenn die Regionen mit dem Mangel an Reformen nichts zu tun haben. Die Übertragung von Kompetenzen auf die zentrale Ebene, lesen wir, könnte zudem dazu führen, dass viele Regionen keine kohärenten Investitionsprogramme mehr haben.
Die EU, fährt das Blatt fort, habe über Jahrzehnte eine Regionalpolitik verfolgt, die auf Konvergenz abzielt, also darauf, den Entwicklungsstand ärmerer Gebiete anzuheben. Ein weiteres Ziel sei es gewesen, die EU den Bürgern näherzubringen, indem lokale Behörden in die Gestaltung der operativen Programme einbezogen wurden. Nun wolle von der Leyen all dies offenbar in den Mülleimer werfen.
Wie das Blatt weiter berichtet, habe ein Diplomat eines EU-Nettozahlers gegenüber der Zeitung Zustimmung für den Plan geäußert: "Uns gefällt das." Er argumentiere, dass dies den Handlungsspielraum des designierten EU-Kommissars für Haushalt, Piotr Serafin, einschränken werde. "Er wird sich innerhalb der von von der Leyen gesetzten Grenzen bewegen müssen", sagte er. Zudem sieht der Plan der Kommissionspräsidentin vor, dass sie selbst und die Generalsekretärin der Europäischen Kommission, eine enge Vertraute von von der Leyen, die Kontrolle über den Budgetentwurf behalten. In dem Dokument, das Rzeczpospolita einsehen konnte, ist die Einrichtung eines Steuerungskomitees vorgesehen, dem neben Serafin diese beiden Personen angehören sollen.
Rzeczpospolita: EU plant gefährliche Zentralisierung der Regionalfonds
Der Publizist und langjährige Chefredakteur des Blatts, Bogusław Chrabota, kann den Plänen der EU-Kommissionschefin nicht viel abgewinnen. In einem Meinungsbeitrag zu dem Thema übt er an dem Vorschlag der Europäischen Kommission, die Regionalfonds zu reduzieren und deren Verwaltung zu zentralisieren scharfe Kritik. Der Ansatz sei reiner "PiS-ismus"—eine Anspielung auf die Politik der ehemaligen polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS)— der für einen Mangel an Vertrauen der Brüsseler Beamten in die Demokratie stehe.
Demokratie, so Chrabota, entstehe auf der Ebene der Bürgerinitiativen und von unten nach oben, zentrale Institutionen seien ein Endresultat dieses Prozesses. Die vorgeschlagene Zentralisierung würde die Aktivierung und Vitalisierung der Regionen indes durch einen zentral gesteuerten Mechanismus ersetzen. Die nationalen Regierungen würden über die Mittel verfügen und für deren Verwendung verantwortlich sein, was das Risiko berge, dass EU-Gelder zur Belohnung politischer Verbündeter genutzt werden.
Die Konsequenzen von Konflikten zwischen der Zentralregierung und Brüssel würden die Regionen tragen—unabhängig von ihren eigenen Bedürfnissen oder politischen Ausrichtungen. Wie das aussehen könnte, hätten wir bereits beim Nationalen Wiederaufbauplan (KPO) gesehen, bei dem lokale Verwaltungen in oppositionell regierten Teilen des Landes unter den Konflikten zwischen Regierung und EU gelitten hätten.
Statt die Regeln für die Verwaltung der Regionalfonds zu verschärfen, sei laut dem Autor mehr Flexibilität erforderlich. Es gelte, geschickt den nationalen Modellen zu folgen. Diese Auseinandersetzung dürfe nicht aufgegeben werden, da es um die tatsächliche Selbstständigkeit der EU-Bürger bei der Verwaltung der aus ihren Steuern stammenden Mittel gehe, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita.
Gazeta Polska Codziennie: Deutsche Peitsche über polnischem EU-Kommissar
Die Gazeta Polska Codziennie schreibt in Bezug auf das Thema über eine deutsche Peitsche über dem polnischen EU-Kommissar und zitiert den PiS-Abgeordneten Zbigniew Kuźmiuk.
“Wir”, so Kuźmiuk, “haben es hier mit einer Situation zu tun, in der zum ersten Mal eine übergreifende Kontrolle über einen Haushaltskommissar ausgeübt wird. Es muss noch einmal klargestellt werden, dass nicht Ursula von der Leyen selbst, sondern ihre Entourage tagtäglich die Fäden ziehen und Entscheidungen so korrigieren wird, dass sie mit den Erwartungen der größten Akteure der EU und vor allem Deutschlands übereinstimmen. Es geht um gigantische Summen, und Berlin muss dafür sorgen, dass sie in die richtige Richtung fließen. Die Funktion des Haushaltskommissars für Piotr Serafin wurde bisher von Politikern der Bürgerkoalition als äußerst prestigeträchtig dargestellt, aber es stellt sich heraus, dass sie nur von untergeordneter Natur sein wird. Obwohl wir einen polnischen Kommissar haben, wird er nicht unabhängig sein", so Kuźmiuk im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie.
Rzeczpospolita: Der Westen will den Sturz Putins nicht
In einem Interview mit der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita analysiert der russische Oppositionelle Michail Chodorkowski den Krieg in der Ukraine. Es gebe drei mögliche Szenarien für dessen Ausgang. Welches eintreten werde, hänge vom Vorgehen des Westens ab.
Sollte der Westen die Unterstützung für die Ukraine einstellen, so Chodorkowski, werde die Front zusammenbrechen. Und wenn die Ukraine falle, werde Wladimir Putin bis an die Grenzen der NATO vorrücken, die dann möglicherweise einer Konfrontation Russlands mit Ländern wie Polen die Stirn bieten müsse. Der zweite Weg, den der Westen aktuell zu gehen scheine, bestehe darin, zu versuchen, Putin und die Ukraine zu einem Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinie zu bewegen. Nicht alle im Westen seien sich jedoch bewusst, dass dieses Vorgehen eine Verstärkung der Unterstützung für die Ukraine sowie konkrete Hilfen und Sicherheitsgarantien nach einem möglichen Friedensschluss erfordere. Ohne solche Garantien würden Investoren ausbleiben, die Wirtschaft bliebe zerstört, und Putin könnte eine neue Phase des Krieges einleiten. Schließlich gebe es eine dritte Möglichkeit, für die der Westen nicht bereit ist, und zwar eine bedeutende Erhöhung der militärischen Unterstützung für die Ukraine. Obwohl die russische Armee derzeit zehnmal mehr Raketen besitze als die ukrainische, halte die Ukraine immer noch stand. Bei einem größeren Gleichgewicht der Kräfte, so Chodorkowski, hätte das Regime Putin große Schwierigkeiten.
Wie Chodorkowski betont, gebe es für Putin derzeit keinen guten Ausweg. Eine Niederlage im Krieg würde sein Regime wahrscheinlich zum Einsturz bringen. Ein Waffenstillstand würde ihn mit entvölkerten, besetzten Gebieten und zerstörter Infrastruktur zurücklassen, deren Wiederaufbau enorme finanzielle Mittel erfordern würde. Und die Fortsetzung des Krieges berge das Risiko einer Konfrontation mit der NATO, die für ihn übel ausgehen könnte. Zudem müsste er für eine Ausweitung der militärischen Aktivitäten eine allgemeine Mobilmachung durchführen und die Wirtschaft vollständig auf Kriegsproduktion umstellen, was die russische Bevölkerung möglicherweise nicht akzeptieren würde.
Berichte über ein geplantes Telefonat zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Putin sieht Chodorkowski kritisch. Er warnt, dass Putin solche Kontaktaufnahmen als Schwäche interpretieren werde: "Wenn Putin sieht, dass westliche Führer ihre Hände ausstrecken, wird er dies als erhobene Hände deuten", so der Oppositionelle.
Zu Putins wiederholten Atomdrohungen sagt der Politiker und einst reichste russische Unternehmer, Putin wisse, dass ihre Einsetzung den Tod aller bedeuten würde und wir nichts dagegen tun können. Solange Putin den "Knopf" aber nicht gedrückt habe, sollte die Welt so handeln, als hätte er keine Atomwaffen. Andernfalls werde er den Westen ständig mit seinem Atomarsenal erpressen.
In Bezug auf die russischen Oligarchen betont Chodorkowski, viele von ihnen wären bereit, Russland zu verlassen. Aber der Westen habe ihnen keine Angebote gemacht oder Garantien gegegeben. Klare Bedingungen und Garantien für diese Personen würden einen Bruch innerhalb der russischen Elite erleichtern: "Es sollte konkrete Bedingungen geben. Was sollen diese Leute tun? Die Hälfte ihres Vermögens abgeben, auf die Knie fallen oder einen bestimmten Text laut vorlesen?", fragt Chodorkowski. Schließlich würde eine solche Person während Putins Amtszeit nicht nach Russland zurückkehren können und ihr Leben aufs Spiel setzen.
Aus seiner Sicht sei klar, dass der Westen den Sturz Putins nicht wolle, da viele einen Zerfall Russlands fürchten. Seiner Meinung nach sei dies ein Fehler. Denn all die Risiken, die der Westen fürchte, darunter die Nutzung von Atomwaffen, seien auch jetzt präsent. Es habe also keinen Sinn, einen Machtwechsel in Russland zu fürchten. Schlimmer wird´s nicht mehr werden, so Michail Chodorkowski im Gespräch mit der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau