Rzeczpospolita: Strategie der Angst
Wirtschaftsvertreter erkennen an, dass die polnische Wirtschaft ohne Zuwanderer leiden wird. Eine ungeschickt umgesetzte Migrationsstrategie kann jedoch mehr schaden als nutzen, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita.
Aktuell, lesen wir, würden schätzungsweise 2,5 Millionen Ausländer in Polen leben, die auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen im Land seien. Diese große Gemeinschaft sei weitgehend unkontrolliert nach Polen gekommen, wobei Einschränkungen eher auf die Ineffizienz der Verwaltung als auf gezielte Migrationspolitik zurückzuführen gewesen seien.
Nun plane die Regierung, neue Kriterien einzuführen, die sich auf die Anwerbung von Fachkräften mit einzigartigen Qualifikationen, in Mangelberufen und bei strategischen Investitionen konzentrieren. Auch die Integrationsmöglichkeiten in die polnische Gesellschaft sollen berücksichtigt werden. Obwohl all diese Kriterien gut klingen, entsprechen sie möglicherweise nicht den aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen der Wirtschaft, urteilt Rzeczpospolita.
Wie das Blatt erinnert, könnten laut einem Bericht des Polnischen Wirtschaftsinstituts bis 2035 über 2 Millionen Arbeitskräfte vom polnischen Arbeitsmarkt verschwinden, was 12,5 % der derzeitigen Beschäftigten entspricht. Besonders betroffen wären die Industrie mit einem Verlust von 400.000 Arbeitskräften und das Gesundheitswesen mit fast 260.000.
Und die Annahme, dass ein enger Arbeitsmarkt automatisch zu mehr Investitionen führe, sei nicht durch Fakten belegt, sagt der Chefökonom des Arbeitgeberverbandes Pracodawcy RP, Kamil Sobolewski. Polen, so der Experte, verzeichne derzeit eine niedrige Investitionsrate, und der Arbeitskräftemangel könnte die Investitionsbereitschaft eher verringern als erhöhen.
Ein weiteres Anliegen sei der Zustand der Sozialversicherungsanstalt (ZUS). Aktuell seien dort 1,17 Millionen ausländische Arbeitnehmer registriert. Um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern zu gewährleisten, müsste die Zahl der ausländischen Arbeitnehmer jährlich um 200.000 bis 360.000 steigen.
Juristische Experten weisen schließlich auf rechtliche Probleme im Zusammenhang mit den Regierungsplänen hin. Prof. Witold Klaus, Kriminologe und Migrationsforscher am Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften, erinnert daran, dass Polen die im Frühjahr verabschiedeten Bestimmungen des EU-Migrations- und Asylpakts umsetzen muss. Dieser umfasse neue konkrete Regeln für den Grenzschutz, die Annahme von Asylanträgen und die Verhinderung von Missbrauch, erinnert Prof. Klaus im Gespräch mit der Rzeczpospolita.
Dziennik Gazeta Prawna: EU wird Migrationspolitik erneut überarbeiten
Doch die EU könnte ihre Migrationspolitik angesichts des wachsenden Drucks von Seiten der Mitgliedsländer erneut überarbeiten, schreibt in der heutigen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna. Migration, so die Zeitung, sei unerwartet zu einem Schlüsselthema des bevorstehenden EU-Gipfels geworden. Ursprünglich sei Migration nicht einmal als Nebenthema vorgesehen gewesen, doch nun stehe sie im Zentrum der Diskussionen über innere Angelegenheiten. Dies liege nicht nur an den neuen Vorschlägen aus Warschau, sondern auch an der wachsenden Druck von vielen anderen EU-Mitgliedstaaten.
Wie die Zeitung erinnert, haben kürzlich 14 Mitgliedstaaten einen Brief an die Europäische Kommission unterzeichnet, in dem sie eine Verschärfung der Migrationspolitik fordern, einschließlich einer Beschleunigung der Abschiebung von Personen, die sich illegal in der EU aufhalten. Auch die nicht zur EU gehörende, aber dem Schengen-Raum angehörende Schweiz habe sich den Unzufriedenen angeschlossen.
In der EU würden Unzufriedenheit und Hilflosigkeit herrschen, da der Migrations- und Asylpakt, der als Antwort auf die meisten Migrationsprobleme dienen sollte, erst in zwei Jahren in Kraft treten werde. Lediglich Spanien habe um eine schnellere Umsetzung dieser Vorschriften gebeten. Andere Hauptstädte würden indes eigenständig Maßnahmen ergreifen: Deutschland führe vorübergehende Grenzkontrollen wieder ein, und Italien beginne, Migranten in temporäre Zentren im Norden Albaniens zu schicken.
Während diese Initiativen seit Monaten signalisiert oder umgesetzt würden, habe die jüngste Erklärung von Donald Tusk Brüssel überrascht. Der polnische Premierminister habe vorgeschlagen, Asylverfahren auszusetzen und den Migrations- und Asylpakt nicht zu implementieren, falls er sich nachteilig auf die Sicherheit Polens auswirke. Dies habe in den EU-Korridoren für Aufsehen gesorgt. Obwohl die EU-Kommission betone, dass jedes EU-Land den Pakt umsetzen muss, scheine sie nicht abgeneigt zu sein, die Migrationsdebatte erneut zu eröffnen und Gespräche über die Migrationspolitik wieder aufzunehmen, urteilt Dziennik/Gazeta Prawna.
Derzeit, erinnert das Blatt, würden Migranten die EU nicht verlassen, selbst wenn sie keinen Anspruch auf Asyl haben und keinen legalen Aufenthaltstitel besitzen. Nur etwa 20 % dieser Migranten würden in sichere Länder oder ihre Herkunftsländer zurückgeführt. Die EU-Hauptstädte wollen diesen Prozess beschleunigen, wofür Rückführungsabkommen mit Drittstaaten notwendig seien, ähnlich wie mit der Türkei während der Krise 2014–2015. Brüssel verhandele hauptsächlich mit Ländern Nordafrikas, aber der neueste Vorschlag sehe die Einrichtung von Registrierungsstellen und temporären Unterkünften in Drittstaaten vor, wo Migranten auf den Abschluss ihrer Verfahren warten können.
Als Modell diene dabei das Abkommen zwischen Italien und Albanien, das zunächst in Brüssel keine Zustimmung gefunden habe, nun aber als realistisches Instrument zur Lösung des Problems überfüllter Einrichtungen in der EU betrachtet werde. Laut einem vorläufigen Entwurf der Gipfelerklärungen wollen die Mitgliedstaaten darauf drängen, dass Brüssel Rechtsvorschriften vorbereitet, die die Einrichtung solcher Zentren außerhalb der EU ermöglichen. Für deren Ausarbeitung ist der neue EU-Kommissar für Inneres, der Österreicher Magnus Brunner, zuständig, so Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Polska Codziennie: Präsident Dudas Rede im Sejm
Natürlich wird auch die jüngste Rede von Staatspräsident Andrzej Duda vor dem polnischen Parlament breit kommentiert. Das konservative Online-Portal niezalezna.pl zitiert die positiven Stimmen zur Rede, zumeist von Politikern der Partei von Duda. So hat Andrzej Śliwka, Abgeordneter der PiS, die Ansprache als "ausgezeichnet" bezeichnet. “Thema für Thema, inhaltlich und mit der Präzision eines Chirurgen, demontiert er Tusk und sein Team", so der Politiker.
Marcin Warchoł kommentierte, der Präsident habe die "Koalition des 13. Dezember" scharf kritisiert und die Missstände der Regierung aufgezeigt. Auch Ex-Premier Mateusz Morawiecki lobte die Rede. "Präsident Andrzej Duda deckt Punkt für Punkt die Schwächen der derzeitigen Regierung auf. Ruhig und sachlich, aber auch schonungslos", so Morawiecki."Präsident Andrzej Duda mit einer großen, gehaltvollen Rede. Tusk ist wieder wütend, daher seine panische Reaktion. Die Wahrheit tut weh", so die Einschätzung von Ex-Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak.
Gazeta Wyborcza: Rede eines Präsidenten oder Verteidigungsrede eines Parteipolitikers?
Ganz anders die Einschätzung von Agnieszka Kublik in der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Mehrfach habe Präsident Duda "Schande" und "Scham" gerufen. Er habe drohende, empörte und verärgerte Mienen aufgesetzt.
Er habe ein Schauspiel als Verteidiger von Recht und Gerechtigkeit inszeniert. Tatsächlich habe er jedoch nur die parteilichen Interessen der Recht und Gerechtigkeit (PiS) und seine eigenen verteidigt. Es habe sich also nicht um eine Ansprache eines Staatsoberhauptes, sondern um die eines Politikers gehandelt, der den für Polen schädlichen Regierungen der PiS sein Gesicht geliehen habe, so Agnieszka Kublik in der Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau