Rzeczpospolita: Hohe Kosten des ungelösten Konflikts um das Gerichtswesen
In Bezug auf die weitere Klage gegen Polen, mit der sich die Europäischen Kommission gestern an den Europäischen Gerichtshof gewendet hat, entsteht ein interessantes Dilemma, schreibt in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Tomasz Pietryga. Mit der Klage, erinnert Pietryga, wolle die EU-Kommission endgültig die Aktivität der umstrittenen Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs unterbinden, die als Machtinstrument der Regierungspartei gegen widerspenstige Oberste Richter gilt.
Die bisherigen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, so Pietryga, hätten sich als nicht ausreichend erwiesen. Der EuGh habe im vergangenen Jahr zwar die Rechte der Kammer, Disziplinarverfahren zu führen, eingefroren. Er habe jedoch vergessen, dass die Kammer auch strafrechtliche Fälle bearbeitet, in denen es um die Aufhebung der Immunität von Richtern geht. Infolgedessen habe die Kammer, trotz Protesten und Kontroversen, die Immunität von zwei regierungskritischen Richtern aufgehoben und der Staatsanwaltschaft damit Ermittlungen ermöglicht.
Nun wolle Brüssel dieses Versehen reparieren. Wenn der Gerichtshof die Blockade gegen die Disziplinarkammer ausweite, dann werde diese aufhören, zu funktionieren. Das Problem dabei: Seit einem Jahr liegen auch die Disziplinarverfahren gegen Richter auf Eis, die etwa ihre Verpflichtungen vernachlässigt haben. Wenn die Kammer blockiert werde, werde sich das also nicht nur auf die Bearbeitung von politisch motivierten Fällen, aber auch von einfachen Verbrechen auswirken, wie Diebstahl oder Alkohol am Steuer. Und das sei auf längere Sicht nicht hinnehmbar.
Außerdem werde ein erneutes Urteil zu weiteren Spannungen auf der Linie Warschau-Brüssel kurz vor der Aktivierung des Wiederaufbaufonds führen, so Tomasz Pietryga über die hohen Kosten des ungelösten Konflikts um die Rechtsstaatlichkeit zwischen Warschau und Brüssel.
Rzeczpospolita: Putin hier, Putin da
Auf ein anderes Dilemma, diesmal der Regierungspartei, macht in seiner Stellungnahme, ebenfalls für die Rzeczpospolita Jerzy Haszczyński aufmerksam. PiS-Chef Kaczyński, lesen wir, habe Probleme, Allianzen mit anderen Parteien auf europäischer Ebene zu schließen. Der Grund: Viele der potentiellen Partner der PiS würden dem Kreml ihre Sympathie bekunden.
Die Konservatisten und Reformatoren, zu denen die Recht und Gerechtigkeit gehöre, hätten nach dem Ausstieg der britischen Konservatisten noch weniger Einfluss in der EU. In einer anderen, einflussreichen Gruppierung, der Europäischen Volkspartei sei die PiS nicht willkommen. Es würden daher Verbündete bleiben, die oft in ihren Ländern stark seien, sich aber gleichzeitig auch stark rechtskonservativ geben würden und vom Mainstream isoliert seien. Und zudem gelte auch die allgemeine Regel: je wichtiger die potentiellen Verbündeten seien, desto stärker seien sie auch an einer Zusammenarbeit mit Putin interessiert. Wie etwa das ungarische Fidesz und die italienische Liga. Der Chef der ersten, Premierminister Viktor Orban flirte schon seit langem mit Putin. Der Chef der zweiten, Matteo Salvini, habe sich einst in einem Putin-T-Shirt fotografieren lassen. Die PiS-Spitzenpolitiker hätten indes keine Kontakte mit dem Kreml und würden seit über 10 Jahren auf das Wrack der Tupolew warten. Es sei schwer, all das unter einen Hut zu bringen, trotz vieler anderer Motive, die die drei Gruppierungen verbinden würden. Es sei unklar, wie die PiS den Polen die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Partei erklären sollte.
Vor demselben Dilemma würden, am Rande gesagt auch die anderen polnischen Parteien stehen. Ihre europäischen Verbündeten seien oft prorussisch. Die stärkste Pro-Kreml-Lobby bleibe die SPD, deren Präsident und Ex-Kanzler Putin völlig untergeben sei. Die prorussische Haltung charakterisiere auch die deutschen Parteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums und gewinne in der CDU an Zustimmung. In der alten DDR habe sie schon gewonnen. So zu tun, als ob Nawalny nichts passiert sei, sei nebenbei gesagt, die Spezialität vieler europäischer Spitzenpolitiker unterschiedlicher Parteien. Für die Unterstützung der Worte von US-Präsident Biden, der Putin als Mörder bezeichnete, habe sich bisher nur Litauens Präsident entschieden - aber auch er sei parteilos, so Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita.
Gazeta Wyborcza: Unreines Spiel der Staatsanwaltschaft
Wojciech Czuchnowski von der linksliberalen Gazeta Wyborcza macht in seinem Kommentar auf die letzten Angriffe der Staatsanwaltschaft auf Senatsmarschall Tomasz Grodzki aufmerksam. Das Beweismaterial gegen Grodzki, dem die mit der Regierung verbundenen Medien seit längerem vorwerfen, als Arzt Schmiergelder von Patienten angenommen zu haben, sei, wie der Autor beobachtet, denkbar dünn.
Wie etwa die Aussage eines Zeugen, der mutmaßt, dass das Schmiergeld im Krankenhaus in Zdunowo verabreicht worden sein könnte, aber nicht in der Lage gewesen sei, zu sagen, für welchen Zweck und wem konkret. Solche Aussagen habe die Staatsanwaltschaft in Szczecin als “wichtiges Beweismaterial” gewertet, hinzugefügt, dass es “keine Zweifel aufwerfe” und auf dieser Grundlage die Aufhebung der Immunität von Grodzki beantragt. Der Antrag beinhalte mehr solcher Kuriositäten. Die meisten Zeugen würden behaupten, dass Grodzki als Chefarzt des Krankenhauses in Szczecin-Zdunowo Schmiergelder von Patienten genommen habe, obwohl sie dies selbst nicht gesehen hätten. Alles nur, so der Autor, weil die Regierungspartei 2019 die Mehrheit im Senat verloren habe und Grodzki zum Gesicht der einzigen Institution geworden sei, die die PiS stoppen könne.
Nach 15 Monaten Hexenjagd der Staatsanwaltschaft, der Geheimdienste und der regierungsnahen Medien, hätten die Ermittler nur zwei Zeugen gefunden, die sich nach Jahren erinnert hätten, dass sie Grodzki Geld gegeben haben. Einer von ihnen habe darüber hinaus ausgesagt, dass Grodzki selbst gar kein Geld wollte. Grodzki weist die Vorwürfe zurück, es stehe also Wort gegen Wort.
Der Antrag über die Aufhebung der Immunität, lesen wir, enthalte keine überzeugenden Beweise für Korruption. Im Gegenteil, er stelle dem Senatsmarschall ein eher gutes Zeugnis aus. Gleichzeitig sei der Antrag auch ein wichtiger Beweis: für Verbissenheit, fehlende Objektivität und doppelte Standards der Staatsanwaltschaft.
Denn dieselbe von Justizminister Zbigniew Ziobro kontrollierte Staatsanwaltschaft habe keine Ermittlungen in Bezug auf das mutmaßliche Schmiergeld von 50.000 Tausend Złoty für Priester Rafał Sawicz vom Unternehmer Gerald Birgfillner eingeleitet. Grünes Licht von Seiten des Priesters sei für den Bau von zwei Hochhäusern durch das mit dem Umfeld von PiS-Chef Jarosław Kaczyński verbundene Unternehmen Srebrna notwendig gewesen. Es heiße, an der Überreichung des Umschlags habe Kaczyński persönlich teilgenommen. Es gebe ein paar Zeugen und der Bevollmächtigte des Priesters habe nicht dementiert, dass es zu der Transaktion gekommen ist. Hier seien die Staatsanwälte jedoch nicht mehr so eifrig gewesen, wie im Fall von Grodzki, so Wojciech Czuchnowski in der Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau