Gazeta Wyborcza: Abhörbefehl
Hat die Regierungspartei versucht, den Ausgang der Wahlen mit Hilfe der Geheimdienste zu beeinflussen? Wie der ehemalige Chef der Zentralen Antikorruptionsbehörde CBA, Paweł Wojtunik am Samstag im Gespräch mit dem Privatsender TVN24 erklärte, habe er aus mehreren Quellen in den Geheimdiensten Signale erhalten, dass die Regierungspartei zwei Tage vor den Wahlen eine breit angelegte Abhöraktion angeordnet hat, um kompromittierende Mitschnitte zu erlangen und dadurch Koalitionsgespräche innerhalb der Opposition zu erschweren oder gar zu vereiteln.
Die von Wojtunik erwähnten 5-Tage-Abhöraktionen seien eine Methode, die bereits während der ersten Amtszeit der PiS-Regierung (2005-07) von der Zentralen Antikorruptionsbehörde CBA, der Agentur für Innere Sicherheit ABW und der Polizei gegen politische Gegner dieser Partei eingesetzt worden sei, erinnert in der heutigen Ausgabe der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Wojciech Czuchnowski. Dieses Format, so der Autor, würde keine Zustimmung eines Gerichts erfordern und sollte in Situationen eines akuten Risikos, wie etwa der Gefahr eines Terroranschlags, eingesetzt werden. Stattdessen, so der Publizist, seien die "Fünf-Tage-Abhöraktionen" von der Vereinigten Rechten häufig missbraucht worden, um operative Informationen zu sammeln.
"Mein Auftritt bei TVN24 war kein Zufall”, zitiert Czuchnowski den ehemaligen CBA-Chef. Er, so Wojtunik weiter, habe lange darüber nachgedacht, was er tun soll, und schließlich beschlossen, dass die einzige Möglichkeit darin bestehe, öffentlich Fragen zu stellen. Denn an wen hätte er die Informationen sonst weitergeben sollen? An den Ausschuss für Geheimdienste, der nicht funktioniere? An den Generalstaatsanwalt, der die Genehmigungen für diese Abhörungen selbst unterzeichnet habe? Falls die von ihm erhaltenen Informationen "zumindest teilweise bestätigt werden", so Wojtunik, hätten wir es mit einer "konstitutionellen Verschwörung und einem schleichenden Staatsstreich" zu tun.
Inoffiziell, lesen wir weiter, heiße es, dass es bei der Aktion hauptsächlich um Aktivisten von Polska 2050 ging. Eine indirekte Bestätigung der Behauptungen von Paweł Wojtunik, so Czuchnowski, seien unter anderem die Äußerungen von PiS-Chef Jarosław Kaczyński, der bei einem Auftritt in Spała am Freitag angedeutet habe, dass "fremde Kräfte" hinter der Gründung der Bürgerplattform und des Dritten Wegs stehen könnten. Die Frage nach den tieferen Ursachen und Mechanismen hinter der Gründung bestimmter Formationen, so Kaczyński, sollte bereits heute die Geheimdienste beschäftigen.
Die Behauptungen von Wojtunik, der diese am Sonntag bekräftigte, seien, wie Czuchnowski erinnert, prompt vom stellvertretenden Koordinator der Geheimdienste (und ehemaligen Journalisten des regierungsnahen Portals “Sieci”), Stanisław Żaryn dementiert worden. Die Dienste hätten im Einklang mit dem Gesetz gehandelt und Wojtunik würde lügen. Doch auch andere Politiker der Opposition hätten über ähnliche Signale berichtet. Die Agentur für Innere Sicherheit ABW habe kürzlich 55 hochwertige Aktenvernichter erworben. Und die Regierungspartei habe, wie Gesprächspartner des Blattes betonen, auch bei der Affäre um das Spionagesystem Pegasus, mit dem 2019 der Bürgerplattform-Abgeordnete Krzysztof Brejza abgehört worden sei, alle Vorwürfe von sich gewiesen. Trotz starker Beweise für den Einsatz von Pegasus gegen Brejza habe die Staatsanwaltschaft die Einleitung von Ermittlungen abgelehnt, und mit den Streitkräften verbundene Beamte sowie PiS-Aktivisten hätten die Angelegenheit kleingeredet und sie ignoriert.
Wie Czuchnowski erinnert, sei Paweł Wojtunik Mitbegründer des Zentralen Kriminalamts gewesen, bevor er das Zentrale Antikorruptionsbüro CBA leitete. Er sei 2009 zum CBA-Chef ernannt worden, nachdem der heutige Innenminister Mariusz Kamiński, der zuvor dieses Amt bekleidet habe, unter anderem wegen eines gesteuerten Lecks von Transkripten aus der sogenannten Glücksspiel-Affäre entlassen worden sei. Als die PiS-Partei wieder an die Macht gekommen sei, sei Wojtunik unter einem falschen Vorwand schnell entlassen worden. Kamiński und sein Team hätten ihm nicht verzeihen können, dass er als CBA-Chef zahlreiche Verstöße gegen das Gesetz bei Spezialoperationen während der ersten Amtszeit der PiS-Regierung aufgedeckt hatte. Einige dieser Verstöße habe er der Staatsanwaltschaft gemeldet, was dazu geführt habe, dass Kamiński und Wąsik zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Obwohl das Urteil nicht rechtskräftig gewesen sei, habe Staatspräsident Andrzej Duda beide kurz nach Amtsantritt im Jahr 2015 begnadigt. Der Prozess gegen Kamiński und Wąsik soll nun am 12. Dezember aufs Neue beginnen, erinnert Paweł Czuchnowski in der Gazeta Wyborcza.
Gazeta Polska Codziennie: Polen oder Nicht-Polen
Die Opposition sei noch nicht einmal an der Macht und kündige schon jetzt an, Polens Armee wieder schrumpfen zu wollen, alarmiert indes auf ihrer Titelseite die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie. Und warnt vor einer Rückkehr zur Politik eines Resets mit Russland. Anlass ist eine neuerliche Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers und Bürgerplattformpolitikers Tomasz Siemoniak, der erklärt hatte, dass Polen kein demographisches Potential für eine 300 Tausend Mann starke Berufsarmee hat. “Die Bürgerplattform beginnt schon ein paar Tage nach den Wahlen, ihr wahres Gesicht zu zeigen, die Tatsache, dass sie der Sicherheit keine Priorität einräumt und wir zu einer Politik des Resets mit Russland und Deutschland zurückkehren könnten”, urteilt im Gespräch mit der Zeitung der PiS-Abgeordnete Bartosz Kownacki.
Und die PiS-Abgeordnete und Mitglied des Rats der Nationalen Medien, Joanna Lichocka stärkt in ihrem Kommentar das Narrativ über die von fremden, nicht-polnischen Kräften gesteuerten Oppositionsparteien und versucht, einen Keil zwischen die potentiellen Koalitionspartner zu treiben. Die Koalition unter der Führung von Donald Tusk, so Lichocka, habe die Wahlen nicht gewonnen. Sie sei auf andere Oppositionsparteien angewiesen, um regieren zu können. Und hier gebe es solche, vor allem bei den Linken und Polen 2050, die den Favoriten Berlins Tusk bedingungslos unterstützen. Vieles hänge aber auch von der Bauernpartei PSL ab. Dies, so Lichocka, sei ein historischer Moment für eine Partei, die zwar aus der Volksrepublik stamme, sich jedoch als konservative, volkstümliche Formation präsentiere. Sie stehe vor einer einfachen Wahl - entweder sie setze die Politik der deutschen Interessen gemeinsam mit Tusk um oder sie widerstehe dem Druck und bleibe ihren eigenen Erklärungen treu.
Die überwiegende Mehrheit der Polen, so Lichocka weiter, habe klar gesagt, dass sie keine Regierung unter Tusk wolle. Andernfalls würden sie nicht den Dritten Weg unterstützen, der erklärt habe, dass er nach einer anderen Lösung suche, als einer Regierung unter der Führung der Bürgerplattform. Klar, so die Publizistin, in Koalitionsverhandlungen würden normalerweise Kompromisse erzielt. Hier gehe es jedoch nicht nur um gewöhnliche programmatische Unterschiede, sondern um grundlegende Fragen für die Zukunft Polens. Es gehe darum, ob Polen überhaupt Polen bleiben oder ob es auf die Rolle einer Provinz in einem von Deutschen dominierten Europa reduziert werden soll. Die Bauernpartei PSL stehe vor einer Entscheidung, die das Schicksal des Landes maßgeblich beeinflussen werde: “Polen oder Nicht-Polen?”, so Joanna Lichocka in der Gazeta Polska Codziennie.
Rzeczpospolita: PiS schätzt die Polen nicht
Etwas anders sieht die Gemengelage auf der politischen Bühne der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Die Polen, so der Autor, hätten Jarosław Kaczyński enttäuscht, weil sie nicht für die PiS gestimmt hätten, obwohl sie von ihrer Regierung profitiert hätten. Bei der Analyse der Wahlergebnisse auf einem Treffen der Clubs der nationalkonservativen "Gazeta Polska" habe Kaczyński am Freitag gesagt: "Gegen uns war auch eine große Gruppe von Menschen, die vom System der vorherigen Regierung nicht profitiert haben, sondern vom System, das wir geschaffen haben. Ganze Regionen, die uns unterstützen sollten, haben uns nicht ausreichend unterstützt." Man, so der Autor weiter, könne den Ärger des Parteiführers verstehen, der nach den Wahlen die Macht abgeben müsse. Die PiS habe jedoch ein klientelistisches System geschaffen: Große Teile der Gesellschaft hätten ihre Lebenssituation verbessert. Statt jedoch aus Dankbarkeit für die PiS zu stimmen, hätten viele Nutznießer der Sozialpolitik der Regierung Morawiecki für die Absetzung der Partei von Jarosław Kaczyński gestimmt. Und das, obwohl sie im Falle einer Abschaffung eines Teils der sozialen Lösungen durch eine Regierung der Oppositionsparteien Verluste in Kauf nehmen müssten. Sie hätten einfach entschieden, dass ihr persönlicher Nutzen weniger wichtig sei als die Zukunft des Landes. Und wenn man die Degeneration des Staates und der PiS selbst in den letzten Jahren beobachtet habe, habe man erkennen können, dass Polen eine dritte Amtszeit der Recht und Gerechtigkeit möglicherweise nicht überleben werde. Zumindest nicht als ein Land, das auf dem Prinzip der liberalen Demokratie und der Gewaltenteilung basiert und Teil des Westens sei. Eigentlich, so Szułdrzyński, sollte Kaczyński stolz auf die Polen sein. Schließlich habe er viel über Patriotismus gesprochen. Aber als Hunderttausende von Polen sich mobilisiert und zur Wahl gegangen seien, zeige Kaczyńskis Aussage deutlich, wie wenig er die Polen schätze. Er sei überzeugt gewesen, dass es ausreiche, den Menschen Geld zu geben, wie etwa durch die Anhebung des Kindergelds von 500 Złoty auf 800 Złoty pro Kind, durch zusätzliche Mittel für Rentner und die Abschaffung der Mautgebühren für Autobahnen. Und dass die Polen dann aus Dankbarkeit für die PiS stimmen. Dass sie die Rechtsstaatlichkeit vergessen, die Gewaltenteilung, die Bürgerrechte, die plumpe Propaganda in den öffentlichen Medien. Dass sie nationale Würde und persönliche Würde in den Müll werfen und dem Geld nachjagen. Es scheine jedoch, dass die Bürger weitaus patriotischer, vernünftiger und reifer sind, als Kaczyński vermutet hat. Wahrscheinlich sei die Unterschätzung der Polen der schwerwiegendste Fehler, den die PiS im Wahlkampf begangen habe, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.
Rzeczpospolita: Herr Präsident, keine Regierung für die PiS
Auch wenn es um die Regierungsbildung gehe, scheine die Mehrheit der Polen im Vorfeld der Konsultationen der Parteichefs mit Staatspräsident Andrzej Duda eher auf Seiten der Opposition zu sein. Nach Ansicht von knapp 60 Prozent der Befragten (57,2 Prozent), sollte Staatspräsident Andrzej Duda zuerst die Oppositionsparteien mit der Regierungsbildung beauftragen, berichtet ebenfalls die konservativ-liberale Rzeczpospolita unter Berufung auf eine aktuelle Studie des Meinungsforschungsintituts IBRiS. Weniger als 36 Prozent (35,8 Prozent) der Befragten hätten in der Umfrage die Partei mit den meisten Mandaten, also die PiS, als die Gruppierung genannt, die das Staatsoberhaupt mit der Regierungsbildung beauftragen sollte. Die Konsultationen mit Staatspräsident Duda sind für Dienstag und Mittwoch angesetzt, erinnert Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau