Deutsche Redaktion

Polen-Ukraine: Der lange Schatten der Vergangenheit

31.10.2024 10:00
Der polnische Außenminister sprach in einem Interview mit der Zeitung Financial Times über die ungelösten Exhumierungen und Reparationen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. 
Auenminister Radosław Sikorski
Außenminister Radosław SikorskiPAP/Piotr Nowak

Außenminister Sikorski in der „Financial Times": Ukraine sollte in Wolhynien getötete Polen unabhängig vom Krieg exhumieren

Der polnische Außenminister sprach in einem Interview mit der Zeitung Financial Times über die ungelösten Exhumierungen und Reparationen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Er erklärte, dass die Menschen im ersten Fall das Recht auf ein christliches Begräbnis hätten, was seiner Meinung nach keine Auswirkungen auf die Kriegsanstrengungen der Ukraine hätte. Er verstehe nicht, warum Exhumierungen zwischen Ländern, die einander unterstützen, blockiert werden sollten.

Laut Financial Times spiegelt Sikorskis Erklärung einen härteren Ton der polnischen Regierung in historischen Fragen wider, insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Mai. Das Ukrainische Institut für Nationales Gedenken hat kürzlich angekündigt, bereit zu sein, die Suche nach polnischen Opfern des Massakers in Wolhynien, die in Massengräbern liegen, im nächsten Jahr wieder aufzunehmen. Kiew hatte diesen Prozess 2017 eingestellt, um gegen die Entfernung eines ukrainischen Denkmals in Polen zu protestieren. Zudem stellt Kiew die Entscheidung des polnischen Parlaments von 2016 infrage, die Massaker als Völkermord zu bezeichnen. Kiew zeigt sich ebenfalls verärgert über Warnungen aus Warschau, dass diese ungelöste historische Frage die Bewerbung der Ukraine um eine EU-Mitgliedschaft beeinträchtigen könnte.

Bezüglich der Kriegsreparationen aus Deutschland sagte der Außenminister, Bundeskanzler Olaf Scholz habe bei seinem Besuch im Juli „die Gelegenheit verpasst“, die von Premierminister Donald Tusk als Alternative zur Forderung der Vorgängerregierung vorgelegten Reparationsforderungen zu erfüllen. Die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat die Forderungen auf 1,3 Billionen Euro für die von Nazi-Deutschland begangenen Schäden und Verbrechen beziffert, erinnert die Zeitung. Tusk hingegen habe lediglich die Errichtung eines polnischen Denkmals in Berlin, deutsche Investitionen in die militärische Zusammenarbeit und einen nicht näher bestimmten Betrag zur Entschädigung polnischer NS-Opfer gefordert, so die Financial Times. Wie Sikorski erklärte, habe Scholz lediglich 200 Millionen Euro als Entschädigung angeboten. Eine solche Summe sei jedoch weder für ihn noch für Tusk überzeugend und würde erst recht die polnische Bevölkerung nicht beeindrucken.

Sikorski zufolge steht die Regierung Tusks in der Frage der Kriegsreparationen nun „mehr oder weniger“ auf derselben Seite wie Präsident Andrzej Duda und die oppositionelle PiS.

Zum Schluss schreibt die Zeitung, dass aktuelle Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Polen Reparationen von Deutschland fordert. Die öffentliche Stimmung gegenüber der Ukraine hingegen verschlechtert sich zunehmend: Nur noch 53 Prozent der Befragten sollen die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge unterstützen – der niedrigste Wert seit Beginn des Krieges.

 

Rzeczpospolita: Wirtschaftlicher Walkover der Regierung

Die Rzeczpospolita fragt am Donnerstag, ob die Regierungskoalition wirklich die Stimmen ihrer marktwirtschaftlich orientierten Wähler und Unternehmen verlieren möchte. Es scheint nämlich, als erfülle sie deren Erwartungen nicht.

Wirtschaftskreise seien zunehmend besorgt über die Politik der Koalition, die nunmehr seit über zehn Monaten regiere, heißt es weiter. Dies sei jedoch keineswegs überraschend, so der Bericht, da es nach wie vor keine klare Wirtschaftsstrategie gebe. Niemand steuere die Wirtschaft, und es gebe weder einen stellvertretenden Premierminister für wirtschaftliche Angelegenheiten noch einen Wirtschaftsminister. Dessen frühere Befugnisse seien auf mehrere Ministerien verteilt, die jeweils in unterschiedliche Richtungen zögen.

Auch der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, der ein deutlich erhöhtes Haushaltsdefizit vorsieht, beunruhige marktbewusste Wähler, so der Bericht. Diese wüssten, dass dies die Wirtschaft kurzfristig destabilisieren werde. Langfristig müssten die Steuerzahler tiefer in ihre Taschen greifen. Der Mindestlohn werde ständig weiter angehoben, was vor allem Zehntausende kleine und mittlere Unternehmen treffe, während große Unternehmen weniger betroffen seien. Sie kämpften ums Überleben. Der wirtschaftliche Abschwung führe zu einem Rückgang der Verbraucherausgaben, dazu kämen steigende Kosten, von Löhnen bis hin zu Energiepreisen, so das Blatt. Der Vorschlag, zumindest einen Teil der durch die Vorgängerregierung erhöhten Krankenversicherungsbeiträge zurückzuerstatten, stoße auf heftige Kritik von der Linken.


Hinzu komme die kürzlich vorgestellte neue Migrationsstrategie, die den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte blockieren solle. Laut dem Blatt sei dies ein "Todeskuss" für den polnischen Arbeitsmarkt. Aufgrund des demografischen Wandels und der Senkung des Rentenalters werde das Land jährlich 150.000 Arbeitskräfte verlieren. Landwirte und Bauunternehmer würden die Auswirkungen als Erste spüren, aber auch die Stadtbevölkerung werde betroffen sein, wenn es keine Fahrer für Taxis oder Pizzalieferungen mehr gebe, heißt es.

Abschließend stellt die Rzeczpospolita fest, dass die Untätigkeit der Koalitionspartner die Richtung der polnischen Wirtschaftspolitik stark in Frage stelle. Die wiederholten Konferenzen von Premierminister Donald Tusk könnten diese Zweifel nicht zerstreuen. Früher oder später werde sich jemand um die vernachlässigte, marktorientierte Wählerschaft kümmern – vielleicht die Konföderation, die schon bei den Wahlen gezeigt habe, dass sie ihr nationalistisches Profil hinter einer marktfreundlichen, ja sogar libertären Maske verbergen könne.

Wprost: Gespräche zwischen der Ukraine und Russland möglich? 

Die Zerstörung der Energieinfrastruktur sei sowohl für Kiew als auch für Moskau ein Problem. Wie man sehe, seien die Ukrainer ähnlich wie die Russen in der Lage, ihren Gegner in dieser Frage zu schikanieren, schreibt Jakub Mielnik im Wochenblatt Wprost. Beide Seiten würden daher die Wiederaufnahme von Gesprächen über die Beendigung der Angriffe auf ihre Kraftwerke und Raffinerien anstreben.

Dem Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zufolge hätten solche Gerüchte nichts mit der Realität zu tun. Geht es nach dem Autor, dementiere der Kreml auf diese Weise nur wahre Berichte. Die Veröffentlichung dieser Informationen durch die Medien habe bereits heftige Reaktionen von Moskaus Anhängern ausgelöst. Gemeinsam mit russischen Internet-Trollen versuchten sie, der Welt zu beweisen, dass die Ukraine auf den Knien liege und Putin um Gnade anflehe.

Mielnik zufolge sei jedoch genau das Gegenteil der Fall. Während die Russen mit ihren Luftangriffen die Ukraine der Hälfte ihrer Energiekapazität beraubt hätten, hätten sie selbst der russischen Ölindustrie einen schmerzhaften Schlag versetzt. Die Ukraine könne ihre Drohnen für Angriffe bis zu 1.500 km von ihren Grenzen entfernt einsetzen. Gleichzeitig baue die Ukraine mit Unterstützung der EU ihr beschädigtes Stromnetz erfolgreich wieder auf und profitiere dabei von der Stromversorgung aus dem europäischen Netz. Die Russen müssten jedoch die Folgen der ukrainischen Luftangriffe eigenständig bewältigen, lesen wir abschließend in Wprost.


Autro: Piotr Siemiński