Deutsche Redaktion

2024 dominiert von russischer Propaganda

30.12.2024 23:16
Vom Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten über die Wahlen in Europa und den USA bis hin zur Klimakrise – jeder Tag im Jahr 2024 brachte eine neue Welle der Desinformation. Kreml-Propagandisten greifen auf altbewährte Methoden zurück: aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, digital manipulierte Fotos und Videos, gefälschte Titelseiten, Internetseiten, die sich als angesehene Medien ausgaben, oder schlichtweg Lügen. 
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Bild:Shutterstock/Zhenya Voevodina

Wenn der Westen nicht aufhöre, die Ukraine zu unterstützen, drohe allen der Dritte Weltkrieg - so habe die Hauptbotschaft der Kreml-Desinformation im Jahr 2024 gelautet. „Ihr Ziel ist es, die Einheit der EU-Staaten zu erschüttern“, sagte Martyna Bildziukiewicz von der Internetseite EU vs Disinfo gegenüber der Polnischen Presseagentur PAP. 

Atomwaffen und „Dritter Weltkrieg" 

Das Wichtigste für den Kreml war der Krieg in der Ukraine. Darauf habe er seine Desinformationskampagnen konzentriert. So versuchte er zu Beginn des Jahres zu beweisen, dass Soldaten aus NATO-Ländern offiziell an dem Konflikt beteiligt seien. Moskau hat Bilder mit Särgen von gefallenen Franzosen, Amerikanern und Briten verbreitet und behauptet, sie seien an der Front gefallen. Die NATO soll demnach auch einen Angriff auf Russland vorbereitet und ihre Streitkräfte in die Nähe der Grenze zu Belarus verlegt haben.

Auch Polen soll angeblich eine Mobilisierung angekündigt haben, um Truppen in die Ukraine zu entsenden. Warschau habe zudem Verbündete um Atomwaffen für einen Angriff auf Russland gebeten.

Als US-Präsident Joe Biden am 17. November der Ukraine grünes Licht für den Einsatz von US-Raketen zum Angriff auf russisches Territorium erteilt hatte, wurde eine Desinformationskampagne über eine vermeintliche Kriegserklärung der USA und der NATO gegen Russland gestartet. Man schrieb vom Beginn des Dritten Weltkriegs. Der russische Diktator Wladimir Putin hatte daraufhin die nationale Nukleardoktrin geändert. Daraufhin folgte die Falschinformation, die USA würden der Ukraine Atomwaffen geben wollen. 

Die Glaubwürdigkeit des ukrainischen Präsidenten untergraben 

Die Angst vor einem Krieg zu schüren, der die ganze Welt verschlingen würde, sei eine der Propagandaaufgaben Moskaus. Eine weitere bestehe darin, die Glaubwürdigkeit des ukrainischen Präsidenten auf der internationalen Bühne zu untergraben. Falsche Informationen über Luxuseinkäufe des ukrainischen Staatshaupts wurden von Online-Profilen russischer Botschaften in vielen Ländern wiederholt. So habe Wolodymyr Selenskyj eines der größten Casinos Europas, den Vuni-Palast in Kerania im Norden Zyperns, Villen in Ägypten, bei Berlin (im einstigen Besitz von Joseph Goebbels) und in Florida sowie ein Haus des Königs von Großbritannien in Gloucester gekauft. Außerdem gab es auch Luxusjachten, das Weingut des berühmten Sängers Sting in der Toskana und einen Bugatti Tourbillon, den seine Frau Olena Selenska gekauft haben soll.

„Der Kreml wollte zeigen, dass es sich für die Europäische Union nicht lohnt, die Ukraine zu unterstützen, weil das überwiesene Geld für große private Einkäufe verwendet wird“, sagte Martyna Bildziukiewicz im Interview mit PAP. Falschinformationen, wonach die Ukraine die vom Westen gelieferten Waffen beispielsweise an die Hamas verkaufe, hätten einen ähnlichen Zweck gehabt, fügte sie hinzu. „Russland versucht, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass die EU wegen ihrer Entscheidung, die Ukraine zu unterstützen, bankrott gehen oder zerfallen könnte“, sagte sie. 

Kreml als weltweiter Verteidiger des Christentums 

Der Kreml habe sich seit vielen Jahren als Verteidiger des Christentums und der traditionellen Werte positioniert, so die Expertin weiter. Die Entscheidung der Ukraine vom August 2024, die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats zu verpflichten, die Beziehungen zu Russland abzubrechen, habe eine Welle der Empörung und Desinformation ausgelöst.

Eine der führenden Propagandistinnen des Kremls, Diana Pantschenko, habe das baldige Ende der orthodoxen Kirche in der Ukraine prophezeit. Sie habe behauptet, Kiew würde die größte Kirche des Landes - die Erzengel-Michael-Kathedrale in Tscherkassy - gewaltsam übernehmen. Moskau habe demnach die Sprengung der Zehntkirche auf dem Gelände des Nationalmuseums für ukrainische Geschichte in Kiew als die Zerstörung des Christentums dargestellt. Die jährliche Pilgerfahrt zur Mariä-Entschlafens-Kirche wurde als Protest gegen das Verbot der orthodoxen Kirche dargestellt. Die ukrainische Armee soll auch angeblich religiöse Gebäude in der Region Kursk geplündert haben. 

Wahlen und Verschwörungstheorien 

Das Jahr 2024 war ein Superwahljahr. Fast die Hälfte der Menschheit war in mehr als 70 Ländern an die Wahlurnen gegangen. Bei den US-Wahlen seien die meisten Fake News verbreitet worden. Zuerst ging es um Präsident Joe Biden und seinen Gesundheitszustand. Später gab es ein gescheitertes Attentat auf Donald Trump. Während einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, im Juli 2024 wurde Donald Trump am Ohr angeschossen. Angeblich hätten die Sicherheitskräfte den Attentäter früher entdeckt, haben ihn aber absichtlich nicht erschossen. Behauptet wurde auch, eine Secret-Service-Agentin habe Trumps Schuhe und ihre Waffe absichtlich von der Bühne fallen lassen. Dazu sei sie eine Russin und Meisterin im Nahkampf und Karate gewesen.

Der zweite für den 15. September in Florida geplante Anschlag sei von einem angeblichen Mitglied der Internationalen Legion der Streitkräfte der Ukraine verübt worden. Dieser soll zudem an Werbekampagnen für die weltweit größte US-amerikanische Investmentgesellschaft BlackRock teilgenommen haben. Die Kreml-Propaganda in Person von Margerita Simonjan, der Chefin des englischsprachigen Senders Russia Today, habe behauptet, die Anschläge seien von Biden angeregt worden.

Nicht nur Russland habe falsche Informationen über die US-Wahlen verbreitet. Die Amerikaner selbst hätten dies ebenfalls getan und sich dabei vor allem auf angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe konzentriert. Behauptet wurde, dass Stimmen von Personen ohne US-Staatsbürgerschaft, einschließlich illegaler Einwanderer, abgegeben worden seien. Die für die Stimmabgabe verwendeten Maschinen sollen mit Elon Musks Starlinks gehackt und die Endergebnisse verfälscht worden sein. Vielerorts sollen Wahlergebnisse manipuliert worden sein, indem neue Stimmen abgegeben oder für einen Kandidaten abgegebene Stimmen entfernt und durch Stimmen für einen anderen ersetzt worden seien. Vor dem Wahltag am 5. November seien die Urheber solcher Fake News meist Anhänger der Republikaner gewesen. Nach der Wahl - Demokraten. 

Europa im Visier russischer Desinformation  

In Europa habe es der Kreml mit seinen Desinformationen auf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock abgesehen. Noch bevor sie der Regierung beigetreten war, hat sie sich gegen den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 ausgesprochen. Als Außenministerin hat sie versucht, die Ukraine aufzurüsten. Moskaus Propaganda habe daraufhin ihr angebliches Zitat verbreitet, dass es „der Ukrainern gelungen ist, das Hakenkreuz-Symbol zu rehabilitieren“.

Der Kreml habe auch Gerüchte verbreitet, wonach die Deutsche eine Sex-Affäre mit einem Nigerianer gehabt haben soll.

Ein weiteres Thema in der Kreml-Desinformation von 2024 waren extreme Wetterereignisse, darunter Überschwemmungen in Polen, Mitteleuropa, Spanien und den USA. Am häufigsten sei das HAARP-System, das die Ionosphäre überwacht, dafür verantwortlich gemacht worden. Der Direktor der Division of Atmospheric Science and Modelling im Air Resources Laboratory der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration), Howard Diamond, erklärte gegenüber PAP, dass „das HAARP-System ein großer Radiosender ist, dessen Radiowellen mit elektrischen Ladungen und Strömen zusammenhängen und keine signifikanten Auswirkungen auf die Troposphäre haben“.

Laut der Expertin des Europäischen Auswärtigen Dienstes und Initiatorin des Portals EU vs. Disinfo, werde der Kreml im Jahr 2025 seine bisherige Propaganda fortsetzen und seine Manipulation der neuen US-Regierung sowie der Wahlen in Deutschland und Polen verstärken. „All dies zielt darauf ab, die Partnerschaft mit der Ukraine zu untergraben, die Einheit zu verletzen und Chaos zu verursachen“, so Bildziukiewicz gegenüber PAP.

„Aber Moldawien, das schon immer im Visier Russlands war, sollte nicht vergessen werden. Es lohnt sich auch, Georgien im Auge zu behalten und zu beobachten, wie der Kreml dort versuchen wird, die ohnehin schon schwierige Situation weiter zu verschlechtern“, fügte Martyna Bildziukiewicz hinzu.


PAP/ps

 

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