Deutsche Redaktion

35. Jahrestag der ersten halbfreien Wahlen

04.06.2024 10:24
Weder die Opposition noch das regierende Lager rechneten mit solch verheerenden Ergebnissen für die kommunistische Macht. Nach zwei Wahlrunden gewann die Opposition 161 Sitze im Sejm, die maximale Anzahl, die das Abkommen mit den Kommunisten zuließ, sowie 99 Sitze im Senat.
Ulotka wyborcza Komitetu Obywatelskiego w Poznaniu promująca Pawła Łączkowskiego do Sejmu oraz Ryszarda Ganowicza i Janusza Ziółkowskiego do Senatu. Fot. Wikipediadomena publiczna
Ulotka wyborcza Komitetu Obywatelskiego w Poznaniu promująca Pawła Łączkowskiego do Sejmu oraz Ryszarda Ganowicza i Janusza Ziółkowskiego do Senatu. Fot. Wikipedia/domena publicznaWikipedia/domena publiczna

Vor 35 Jahren, am 4. Juni 1989, haben die Parlamentswahlen (erste Runde) stattgefunden, die auf den Vereinbarungen des Runden Tisches beruhten. Diese Wahlen waren die ersten teilweise freien Wahlen zum Sejm in der Nachkriegsgeschichte Polens und vollständig freien Wahlen zum wiederhergestellten Senat, der nach dem gefälschten Referendum von 1946 in der Volksrepublik Polen abgeschafft worden war. Die Solidarność, angeführt von Lech Wałęsa, errang einen spektakulären Sieg.

Erstmals seit 1945 ist die Opposition zur Wahl zugelassen worden. Zudem wurde der Senat gewählt, wodurch ein Zweikammersystem geschaffen wurde. Die Juni-Wahlen waren jedoch nicht vollständig demokratisch. Vertreter der Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaft „Solidarność“ und das regierende kommunistische Lager erreichten eine Vereinbarung, die der sogenannten Koalition aus der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) und ihren Verbündeten mindestens 299 Sitze, also 65 Prozent, im Sejm garantierte. Die restlichen 161 Mandate, das heißt 35 Prozent, wurden der Opposition zugeteilt. Der Senat wurde demokratisch gewählt, ohne vorherige Absprachen über die Mandatsverteilung.

Niemand hat mit dem Ergebnis gerechnet

Ein Teil des Solidarność- und Oppositionslagers betrachtete die Zustimmung zur Teilnahme an diesen Wahlen als den Preis, der für die Wiederzulassung der Solidarność nach acht Jahren gezahlt werden musste. Das Hauptziel der Regierung war es hingegen, die Opposition in das bestehende politische System einzubinden, während die Kommunisten weiterhin die Kontrolle behalten wollten.

Weder die Opposition noch das regierende Lager rechneten mit solch verheerenden Ergebnissen für die kommunistische Macht. Nach zwei Wahlrunden gewann die Opposition 161 Sitze im Sejm, die maximale Anzahl, die das Abkommen mit den Kommunisten zuließ, sowie 99 Sitze im Senat. Ein Sitz ging an einen unabhängigen Kandidaten.

Tadeusz Mazowiecki erster nichtkommunistischer Regierungschef in Mittel- und Osteuropa seit dem zweiten Weltkrieg

Das Wahlergebnis veränderte das politische Kräfteverhältnis. Am 24. August 1989 wurde Tadeusz Mazowiecki der erste nichtkommunistische Regierungschef in Mittel- und Osteuropa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Polen wurde zum Vorbild für andere Länder des kommunistischen Blocks. Dies markierte den Beginn des sogenannten „Herbstes der Völker“ in Europa, symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989.

Der 4. Juni wird in Polen als Tag der Freiheit und Bürgerrechte gefeiert, der vom Sejm am 24. Mai 2013 zur Erinnerung an die Parlamentswahlen von 1989 eingeführt wurde.

Gesellschaft in Bewertung des Runden Tisches gespalten

Bis heute sind die Polen in ihrer Bewertung des Runden Tisches und der Juni-Wahlen, die als Ergebnis der Verhandlungen und Vereinbarungen stattfanden, gespalten. Befürworter meinen, dass zu jener Zeit kein anderer Weg als ein Kompromiss mit den Herrschenden möglich war. Gegner hingegen kritisieren, dass die Zugeständnisse der Solidarność-Opposition gegenüber den Kommunisten zu weit gingen. Dies führte zu fehlender Abrechnung, Ablehnung von Lustration und Dekommunisierung sowie zur Akzeptanz postkommunistischer Einflüsse in der polnischen Politik und Wirtschaft.

IAR/adn


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