Rzeczpospolita: Tusk setzt heute die Migrationspolitik der PiS-Regierung fort
Neun Jahre nach der großen Migrationskrise habe die EU beschlossen, keine Zwangsumsiedlung von Flüchtlingen anzuordnen. Welchen Einfluss hatten darauf Jarosław Kaczyński und Donald Tusk, fragt sich Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. Wie er erinnert, habe Angela Merkel zwei Monate vor den Parlamentswahlen im Oktober 2015 die damalige Regierung von Donald Tusk unter Druck gesetzt. Nicht der polnische Sejm, sondern Brüsseler Bürokraten sollten entscheiden, welche und wie viele Asylbewerber sich in Polen niederlassen dürfen. Die Idee der deutschen Bundeskanzlerin habe dazu beigetragen, dass die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) acht Jahre lang die Macht in Polen innehatte. Frankreich, urteilt der Autor, würde Angela Merkel sowas niemals antun.
PiS-Chef Jarosław Kaczyński, lesen wir weiter, habe sich anschließend geweigert umzusetzen, was die Tusk-Regierung akzeptiert hatte. Mit der Zeit habe sich dies sogar als wirksames Druckmittel erwiesen, um die Interessen Warschaus im Tauziehen mit großen EU-Ländern durchzusetzen. Die Deutschen hätten verstanden, dass sie in Lebensfragen keinen Gehorsam von Polen erzwingen könnten. Jarosław Kaczyński, so der Autor weiter, hätte damals seinen Sieg nutzen können, um Polen dauerhaft in die erste Liga der EU-Länder zu bringen. Polen habe auch mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine aufgrund seiner geografischen Lage und seines militärischen Potenzials noch mehr an Bedeutung gewonnen. Die katastrophale Reform des Justizwesens, schreibt Bielecki, habe diese Möglichkeit jedoch ausgeschlossen. Die Dynamik in den Beziehungen Warschaus zu Brüssel sei umgekehrt worden. Indem sie Mittel aus dem EU-Wiederaufbauplan für Polen zurückhielt, habe die europäische Zentrale maßgeblich zur Niederlage der PiS im Oktober 2023 beigetragen. Kaczyński habe seine Regierungszeit beendet. Polen habe sich am Rande eines vereinten Europas positioniert.
Die in der vergangenen Woche vom Europäischen Parlament verabschiedete Reform der Migrationspolitik sieht keine Zwangsumsiedlung von Migranten vor, fährt der Autor fort. Stattdessen können Mitgliedsländer jene Staaten finanziell unterstützen, die von einer großen Zuwanderungswelle betroffen sind. Länder wie Polen, die bereits eine große Anzahl von Einwanderern (Ukrainer und Weißrussen) haben, seien dazu nicht verpflichtet. Trotzdem habe Premierminister Donald Tusk betont, Polen werde dem Mechanismus zur Umsiedlung von Asylbewerbern nicht zustimmen. Die Methode, die wichtigsten Interessen Polens in Brüssel auf Messers Schneide zu stellen, setzte somit nun auch Kaczyńskis Erzrivale Donald Tusk fort, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Polen kann der Migration nicht entkommen. Aber es kann die Fehler Westeuropas vermeiden
Während der nahenden polnischen EU-Ratspräsidentschaft biete sich der Regierung die Gelegenheit, das Thema der Migrationsstrategie in die Prioritäten der EU aufzunehmen, schreibt indes Maciej Miłosz im Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna. Dem für Migration zuständigen stellvertretenden Innen- und Verwaltungsminister zufolge, arbeite Polen derzeit an einer nationalen Migrationsstrategie für 2025-2030. Die erste Version soll im September erscheinen. Das endgültige Dokument soll dann noch vor Beginn der polnischen EU-Ratspräsidentschaft im Dezember vorliegen.
Einigen Denkfabriken zufolge seien weitere Wellen von Zuwanderern nicht nur aus der Ukraine zu erwarten. Die nächste Welle stehe Polen auch aus afrikanischen Ländern, aus Indien und Zentralasien bevor. Dort sei das demografische Wachstum hoch. Laut einer Analyse des Instituts für Expertendiskussion und Analyse, Quant Tank, bestehe das Problem darin, dass Polen nie eine Migrationsstrategie entwickelt habe. In der Zwischenzeit habe die Migration aus der Ukraine nur den Moment stark beschleunigt, in dem in einer sehr homogenen Gesellschaft wichtige Entscheidungen über die Migrationspolitik und die Integration von Einwanderern in die Gesellschaft anstehen, so Miłosz über die Erkenntnisse der Analyse.
Nach Ansicht der Denkfabrik dürfe Polen die Probleme nicht auf Hauruck lösen, lesen wir weiter. Man müsse vielmehr langfristige funktionierende Mechanismen schaffen, um die wachsende Zahl von Migranten reibungslos in den nationalen Arbeitsmarkt und das Sozialsystem zu integrieren. Spezifische Eigenschaften von Migranten und Herkunftsrichtungen seien hierbei zweitrangig. Wichtig sei vor allem, die in Westeuropa gemachten Fehler zu vermeiden. Man müsse die Entstehung von Ghettos verhindern, heißt es.
Wie wir am Schluss lesen, sei Polen im Jahr 2015 ein Durchbruch gelungen. Jedes Jahr würden seitdem mehr Menschen an die Weichsel ziehen als das Land verlassen. Damit sei die Abwanderung von Arbeitskräften ausgeglichen worden, mit der Polen nach dem Beitritt zur Europäischen Union und der Öffnung des Arbeitsmarktes in Großbritannien, Deutschland oder den Niederlanden konfrontiert war. Die demografischen Probleme Polens dürften sich jedoch trotzdem weiter verschärfen. Polens Bevölkerung werde älter, die Arbeitslosigkeit bleibe niedrig, so Maciej Miłosz in Dziennik/Gazeta Prawna.
Wprost: Keiner lacht mehr über die Drei-Meeres-Initiative
Einst als Hirngespinst der Vorgängerregierung verspottet, habe sich das Projekt der Drei-Meeres-Initiative bereits verselbständigt und das Interesse von Investmentbanken und großen globalen Unternehmen geweckt, schreibt Jakub Mielnik für das Wochenblatt Wprost. Seitdem auch die Deutschen an der Initiative interessiert seien, lache niemand mehr darüber. Außer Polen.
Beim letzten Gipfel der Initiative in Vilnius habe sich indes niemand um die gegenseitigen Dreckschleudern aus der kleinen politischen Hölle Polens gekümmert. Polens Beitrag zu der Idee, die Fähigkeit zum Widerstand gegen Russlands aggressive Aktionen zu erhöhen, sei sogar noch gewürdigt worden.
Die große Zahl von Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel der Initiative beweise, dass die existentiellen Zweifel an diesem Projekt verflogen seien. Anwesend seien die Präsidenten Polens, Litauens und der Ukraine gewesen, der griechische Ministerpräsident und zahlreiche Regierungsvertreter von Japan bis zu den USA. Genau wie an Investitionen in den Ländern zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer interessierte Geschäftsleute.
Angesichts der russischen Bedrohung werde das Projekt zur deutlichen Stärkung der Infrastruktur an der Ostflanke der EU und der NATO zu einer dringenden strategischen Notwendigkeit. Die Aufnahme Griechenlands in die Initiative, mit seinen Gas-Terminals, die bisher von Russland abhängige Länder versorgen könnten, habe das gesamte Projekt sogar noch auf die Ägäis ausgedehnt.
Die Fähigkeit, Truppen schnell und wirksam in Gebiete der EU zu verlegen, sei kein imaginäres Problem oder ein schädlicher Größenwahn, wie es einige in Polen gerne wollten, so Mielnik. Es sei eine Frage des Seins oder Nichtseins in einer Welt, die zunehmend von Konflikten dominiert werde. Alles, was fehle, sei die anhaltende politische Unterstützung aufeinanderfolgender Regierungen in Polen. Sie scheinen ein perverses Vergnügen daran zu haben, selbst die von ihren Vorgängern geerbten besten Ideen mit dem Bade auszuschütten, so Jakub Mielnik in Wprost.
Autor: Piotr Siemiński