Deutsche Redaktion

"Die polnische Unterstützung für die Ukraine bleibt stark. Aber sie ist etwas anders."

09.07.2024 12:32
Hat Polen das bilaterale Sicherheitsabkommen mit der Ukraine assertiv verhandelt oder viel zu viel versprochen? Das im Vorfeld des NATO-Gipfels in Washington unterzeichnete Abkommen ist ein wichtiges Thema der heutigen Pressekommentare. Außerdem geht es auch um die Frage, was Polen in Washington erreichen will. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Warschau, 08.07.2024: Premierminister Donald Tusk (P) und der ukrainische Prsident Wolodymyr Zelenski (L) whrend einer Pressekonferenz in der Kanzlei des Premierministers (KPRM) in Warschau. Der polnische Premierminister und der ukrainische Prsident unterzeichneten ein Sicherheitsabkommen zwischen Polen und der Ukraine. (mr) PAPRafał Guz
Warschau, 08.07.2024: Premierminister Donald Tusk (P) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenski (L) während einer Pressekonferenz in der Kanzlei des Premierministers (KPRM) in Warschau. Der polnische Premierminister und der ukrainische Präsident unterzeichneten ein Sicherheitsabkommen zwischen Polen und der Ukraine. (mr) PAP/Rafał Guz PAP/Rafał Guz

Dziennik/Gazeta Prawna: Die polnische Unterstützung für die Ukraine bleibt stark. Aber sie ist etwas anders.

Zuvor haben beide Seiten klassisch verhandelt. Polen hat guten Willen gezeigt und seine bisherigen Bemühungen zur Unterstützung Kiews betont. Selenskyj habe viel, schnell und kostenlos gewollt, schreibt in seiner Analyse zum Thema der Publizist des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna, Zbigniew Parafianowicz. Gehe es nach der Ukraine, so der Autor, sollte Polen am besten sofort seine wenigen Patriot-Systeme an die Ukraine übergeben und einer Koalition von Ländern beitreten, die Flugzeuge im NATO-Standard liefern. Im Maximalfall, lesen wir, sollten wir die polnische Luftwaffe einsetzen und unser Staatsgebiet den Luftverteidigungstruppen der NATO zur Verfügung stellen, um den Himmel über der Westukraine zu schützen. Dieser Vorschlag sei auch während des Treffens am Samstag anlässlich des Staatsgründungstages in Vilnius zwischen Senatspräsidentin Małgorzata Kidawa-Błońska und der stellvertretenden Vorsitzenden der ukrainischen Werchowna Rada Olena Kondratiuk vorgebracht worden.

„Die polnische Luftverteidigung könnte den Luftraum über den grenznahen Regionen der Ukraine schützen“, habe Kondratiuk erklärt. Sie habe auch darum gebeten, diesen Wunsch beim Gipfel der Parlamentspräsidenten der NATO-Staaten, der gestern in Washington stattfand, zu übermitteln. Zuvor hätten die Ukrainer im Zusammenhang mit der jüngsten russischen Offensive in der Region Charkiw auch über einen Plan zur Entsendung polnischer humanitärer Hilfe in diese Region gesprochen. Dies habe die stellvertretende Premierministerin Iryna Wereszczuk erwähnt.

All das, so Parafianowicz, habe die Ukraine als Vorschläge zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen präsentiert. Aber traditionell vor allem zu ukrainischen Bedingungen. All diese Ideen seien interessant und könnten natürlich auf einem Blatt Papier notiert werden, um sie zu erwägen. Am besten in einem langen Analyseprozess.

Selbst, so der Autor weiter, wenn der Schutz des ukrainischen Himmels von polnischem Staatsgebiet, zu einer Initiative der ganzen NATO würde, wäre es gut, wenn Präsident Selenskyj – zum Beispiel inoffiziell, denn es gehe hier nicht darum, ihn an den medialen Pranger zu stellen – schließlich zugeben würde, dass im November 2022 bei Przewodów keine russische Rakete, sondern eine Rakete aus einem ukrainischen Luftabwehrsystem abgestürzt sei, deren Überreste zwei polnische Staatsbürger getötet hätten. Weitere Schritte zur Stärkung der Sympathie Polens könnten Zugeständnisse in den Bereichen Handel und Landwirtschaft sein. Schließlich könnten die einfachsten Entscheidungen aus Sicht der ukrainischen Behörden getroffen werden, nämlich die bedingungslose und sofortige Aufhebung des Verbots polnischer Exhumierungen in der Ukraine. Gemeinsame Sicherheit bedeute auch Zusammenarbeit in gutem Glauben in schwierigen Angelegenheiten, so Parafianowicz.

So oder so, lesen wir weiter, scheine es von polnischer Seite unmöglich, die Forderungen des ukrainischen Präsidenten im Bereich der Luftverteidigung zu erfüllen. Aber Warschau könnte stattdessen die Rolle eines Antreibers der Nachzügler spielen, die bisher mit der Hilfe für die Ukraine gezögert hätten. Hier müsse man Außenminister Radosław Sikorski zitieren, der nach dem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg am 22. April 2024 die Gründe für die polnischen Begrenzungen bei der Unterstützung der Ukraine rational erklärt habe.

„Polen”, so der Minister auf Anfrage eines ukrainischen Journalisten während der Pressekonferenz in Luxemburg, “ist ein Frontstaat, dessen Luftraum von russischen Marschflugkörpern verletzt wird. Einschließlich des Vorfalls mit einer Rakete, die 10 km von meinem Haus entfernt gefallen ist (es geht um den Absturz einer russischen Rakete bei Bydgoszcz im Dezember 2022 – Anm. d. Red.). Polen hat nur zwei Patriot-Batterien und kann sie nicht teilen. Ich wünsche den Deutschen viel Erfolg als Anführer der Koalition (zur Beschaffung von Patriots für die Ukraine – Anm. d. Red.), um den Willen von Präsident Selenskyj zu erfüllen“, erklärte Außenminister Sikorski. 

Fazit: Im dritten Kriegsjahr sei die Rolle des polnischen Staates in der Unterstützung der Ukraine – militärisch und politisch – einfach anders. Komplexer und nuancierter. Dies spiegele sich im gestern unterzeichneten Abkommen wider. Ohne Bestimmungen über die Übergabe polnischer Flugzeuge und Patriots, so Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna.

Do Rzeczy: Sehr großer Umfang, nur ein Nutznießer

Dem Publizisten des national-konservativen Wochenblatts “Do Rzeczy”, Łukasz Warzecha gehen die Bestimmungen des Vertrags indes trotzdem zu weit. Wie das Wochenmagazin auf seiner Internetseite berichtet, habe der Publizist nach der Durchsicht des Vertragstextes seine ersten Eindrücke auf dem Portal X geteilt.

„Die Lektüre des polnisch-ukrainischen Abkommens”, so Warzecha, “hinterlässt einen erschütternden Eindruck. Es ist ein Dokument von sehr großem Umfang, in dem in jeder Angelegenheit nur ein Nutznießer vorhanden sei: die Ukraine“.

„Ein internationales Abkommen über ein militärisches Bündnis”, so der Autor weiter, “sollte in Form eines Gesetzes ratifiziert werden, also nach einer Debatte im Sejm. Die Regierung hat beschlossen, dies zu umgehen, indem sie statt eines Abkommens nur eine 'normale' Vereinbarung unterzeichnet. Das ist ein eindeutiger Trick. Theoretisch könnte dies sogar dazu führen, dass Donald Tusk vor den Staatsgerichtshof gestellt wird – wegen Verfassungsbruchs“, fügte Warzecha auf X hinzu.

Rzeczpospolita: Neblige Hoffnungen Kiews

Die Unterzeichnung eines Sicherheitsabkommens, selbst mit den USA, gebe nicht die gleichen Garantien wie eine NATO-Mitgliedschaft, beobachtet indes im Aufmacher der Rzeczpospolita der Publizist Jerzy Haszczyński. Ein solches Dokument gewährleiste finanzielle, politische und militärische Hilfe, aber nicht die Verteidigung eines Verbündeten – die Artikel 5 des NATO-Vertrags garantiere. Und vorerst müssten wohl eben solche bilaterale Abkommen der Ukraine genügen, denn auf dem Gipfel werde sie keine Einladung zur NATO erhalten. Die Frage, auf die wir in absehbarer Zeit keine Antwort erhalten würden: Werden solche Abkommen der Ukraine nicht auch auf Dauer ausreichen müssen und gewissermaßen zu einem schön verpackten Trostpreis, einer Alternative zur echten Mitgliedschaft, werden, fragt Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Starkes Signal an Russland

Die Erhöhung der Abschreckungskapazitäten und die langfristige Hilfe für die kämpfende Ukraine - das seien die wichtigsten Themen des heute beginnenden NATO-Gipfels in Washington, schreibt in der heutigen Ausgabe die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie. „Eine der wichtigen Fragen für Polen, aber auch für die ganze östliche Flanke der NATO, ist der Ausbau großer Lager für militärische Ausrüstung sowie die Sicherstellung ihrer Luftverteidigung“, sagt im Gespräch mit dem Blatt der Sicherheitsexperte Prof. Piotr Grochmalski. Wie Grochmalski beobachtet, werde der Gipfel vom neuen NATO-Generalsekretär Mark Rutte geleitet werden. Laut dem Experten sei Jens Stoltenberg ein größerer Realist in Bezug auf Russland gewesen. „Mark Rutte ist ein geschickter Spieler, der jedoch die Interessen des Teils des Bündnisses vertritt, der das Ausmaß der Bedrohung für die NATO auch aus der Perspektive der östlichen Flanke des Nordatlantikpakts nicht versteht. Zudem wird der niederländische Politiker in Sicherheitsfragen sehr sorgfältig auf die Stimme Berlins hören“, so Grochmalski.

Wie das Blatt erinnert, soll während des Gipfels in Washington die Gründung eines neuen Organs unter dem Namen NATO Security Assistance and Training for Ukraine (NSATU) angekündigt werden, das in Wiesbaden, Deutschland, ansässig sein wird. Dieses Organ werde alle Arten langfristiger Hilfe für die Ukraine koordinieren und die Aufgaben der derzeit von den USA verwalteten Ukraine-Kontaktgruppe übernehmen. In der vergangenen Woche hätten sich die Mitgliedsstaaten des Nordatlantikpakts darauf geeinigt, im Jahr 2025 40 Milliarden Euro für militärische Hilfe für die Ukraine bereitzustellen. „Das ist ein Schlag ins Herz der russischen Strategie, die darauf abzielt, die Ukraine von der Unterstützung durch militärische Ausrüstung abzuschneiden. Dieser ständige Finanzierungsmechanismus seitens der NATO ist die wichtigste Garantie und ein Signal an Russland, dass Kiew Mittel erhalten wird, um kontinuierlichen Widerstand zu leisten und den Krieg fortzusetzen, und dabei die russische Armee zu schwächen“, sagte Prof. Grochmalski.

Für Polen indes sei zudem die Zustimmung zur Gründung des Zentrums für Bildung, Analyse und Ausbildung NATO-Ukraine JATEC in Bydgoszcz wichtig. „Dies ist ein strategisch bedeutendes Zentrum an der Schnittstelle NATO-Ukraine“, betonte der Experte. Der NATO-Gipfel in Washington biete auch die Gelegenheit zur engeren Zusammenarbeit mit den vier asiatisch-pazifischen Ländern (AP4), zu denen Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland gehören, betont Gazeta Polska Codziennie.  

Autor: Adam de Nisau


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