Rzeczpospolita: Was ist mit den USA geschehen?
Trump habe Energie und Durchsetzungskraft gezeigt, Eigenschaften deren Fehlen sogar Anhänger von Joe Biden ihm vorwerfen, schreibt dazu der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Jerzy Haszczyński. Und, so der Autor, er wolle sie auch weiter unter Beweis stellen – aus dem Krankenhaus würde er zur Konvention der Republikanischen Partei fahren, wo er die offizielle Nominierung als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen erhalten werde.
Der Attentatsversuch in Butler bringe Trump dem Sieg näher. Zugleich gebe er auch der Demokratischen Partei Zeit, den Streit darüber, ob man Biden austauschen solle, und falls ja, gegen wen, zu beruhigen. Trump sei in der Rolle des Opfers aufgetreten, dessen Leben am seidenen Faden gehangen habe. Es werde schwieriger sein, dem Opfer vorzuwerfen, dass er ein Verbrecher sei, ihn einen Betrüger zu nennen, einen zukünftigen Diktator. Aber um davon zu profitieren, müssten Trump und sein Lager sich mit den Anschuldigungen gegen das Establishment und die Medien zurückhalten, dass diese eine Atmosphäre geschaffen hätten, die zum Attentatsversuch auf den Präsidentschaftskandidaten geführt habe, so Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita.
Gazeta Wyborcza: Blut im Gesicht und geballte Faust
Unabhängig davon, wie die Ergebnisse der Ermittlungen ausfallen werden, hätten die meisten Kommentatoren keine Zweifel: Das Attentat erleichtere Trump den Weg ins Weiße Haus, schreibt auch die Gazeta Wyborcza in ihrem Aufmacher. Die amerikanische Nation sei gespalten, aber der Republikaner erscheine nun als Held, der niemals aufgebe. Nun werde seine Kampagne für das Weiße Haus noch mehr an Schwung gewinnen, meint Gianni Rotta, Publizist der „La Repubblica“. Das Bild von Trump, mit geballter Faust und Blut im Gesicht, werde Teil der politischen Geschichte der USA werden und das Klima der Präsidentschaftswahlen 2024 verändern.
Nach Ansicht des Kommentators der „La Repubblica“, so Gazeta Wyborcza, seien die Demokraten in die dramatische Defensive gedrängt worden. Trump, der schreie und die Hand in einer Geste des Aufbegehrens und der Einheit in Richtung der Aktivisten hebe, mobilisiere bereits Millionen von Anhängern online, die überzeugt seien, dass „die Linke einen Bürgerkrieg wolle“, bemerke Rotta. Seine Prognosen seien pessimistisch. Er weise darauf hin, dass das Klima der Kampagne schon vor dem Attentat fatal gewesen sei. Trump habe Biden und Kamala Harris beleidigt, und extreme Konservative hätten zur Einführung einer Autokratie in den USA aufgerufen. Nun werde es nur noch schlimmer werden, unabhängig von der offiziell erklärten Solidarität [mit Trump] durch die Demokraten, zitiert Gazeta Wyborcza Gianni Rotta von “La Republicca”.
Dziennik/Gazeta Prawna: Eine Shitshow, die zum Angriff ermutigt
Ein wichtiger Aspekt der polnischen Kommentare zum Attentatsversuch sind auch seine außenpolitischen Auswirkungen. Und auch hier herrscht in der polnischen Presse weitgehende Einigkeit darüber, dass sich über den Anschlag in Butler vor allem China und Russland freuen dürften.
Das Attentat auf Trump sei für die Welt ein Zeichen, dass Amerika schwächer werde, schreibt in seinem Kommentar für das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna der Publizist Zbigniew Parafianowicz. Und selbst wenn das nicht wahr sein sollte – obwohl man sich dessen nicht sicher sein könne – würden die Peripherien, die ihre Sicherheitspolitik auf dem Bündnis mit den USA stützen, bereits heute den Preis dafür zahlen, urteilt der Autor. Denn wenn der Weltpolizist schwächer werde, bedeute das, dass alles möglich sei. Ereignisse wie der Marsch auf das Kapitol im Winter 2021, Bidens schwächeln oder das Attentat auf Trump würden die Achse der Satrapien – China, Russland und ihre Anhänger – dazu ermutigen, die Schwäche des Westens zu testen. Denn Satrapien würden in binären Kategorien denken. In ihren Kalkulationen seien nur zwei Faktoren wichtig – Stärke und Schwäche. Und das, was in den USA geschehe, falle eindeutig in die Kategorie der Schwäche. Und wenn das so sei, könne man die Vereinigten Staaten herausfordern. Die Herausforderung könne etwa die Einmischung in Wahlen durch Trollfarmen sein. Aber es könne auch ein Schlag gegen die Ukraine oder ein militärisches Sticheln gegen Montenegro sein, von dem Trump selbst gesagt habe, dass er es nicht verteidigen werde, und Biden möglicherweise einfach nicht die Kraft habe, es zu verteidigen. Die Schwäche der Demokratie führe in den Satrapien zu Kühnheit. Warum solle jemand wie Wladimir Putin oder Xi Jinping die Kalkulationen aufgeben, dass es realistisch sei, Dyneburg oder die Pescadoren zu nehmen, wenn ein gebrechlicher Greis eine Supermacht regiere und eine Hybride aus Lügner, Mythoman und Verrücktem sie regieren wolle? Warum solle man nicht eine Supermacht angreifen, in der der Secret Service nicht in der Lage sei, einen ehemaligen Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten zu schützen? Warum solle man nicht einen Staat testen, in dem eine ständige Shitshow im Gange sei? Wenn Shitshow, dann auch eine Shitsupermacht, so Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Wyborcza: Freude in Russland
Ähnlich im Ton auch die Einschätzung von Wacław Radziwinowicz von der Gazeta Wyborcza. Putin, so der Autor, könne sich zwar nicht sicher sein, dass ein unberechenbarer, launischer Republikaner für ihn ein angenehmerer Partner sein werde als Biden oder (theoretisch) ein anderer Demokrat. In Moskau könne man schließlich nicht vergessen, dass niemand anderes als Trump selbst, als Präsident, die USA aus früheren Abrüstungsabkommen zurückgezogen habe. Er habe vor fünf Jahren offiziell den INF-Vertrag über die Abschaffung von Mittelstreckenraketen annulliert – dieselben Raketen, die nun, zur Besorgnis Russlands, nach Deutschland zurückkehren sollen. Er, obwohl skeptisch gegenüber der NATO, habe die Mitglieder des Paktes gezwungen, ihre Militärausgaben zu erhöhen.
In Bezug auf eines könnten sie in Moskau jedoch sicher sein: Trump werde – jetzt, nachdem er ein Attentat überlebt habe, umso mehr – hysterisch nach Schuldigen suchen und sich an denen rächen, die seiner Meinung nach dahinter stünden. Das bedeute großes Chaos in den Vereinigten Staaten und im gesamten Westen. Und genau das Chaos, nicht der in Pennsylvania angeschossene Präsidentschaftskandidat, sei Putins Favorit in den amerikanischen Wahlen, so Wacław Radziwinowicz in der Gazeta Wyborcza.
Autor: Adam de Nisau