Deutsche Redaktion

"Der seltsame Sturz eines Diktators"

09.12.2024 12:50
Natürlich ist der Umsturz in Syrien auch in der polnischen Presse ein wichtiges Thema. Auch das EU-Mercosur-Abkommen wird kontrovers diskutiert. Und: Hat Rumänien mit der juristisch zweifelhaften Last-Minute-Annullierung der ersten Wahlrunde der Präsidentschaftswahlen den Weg für eine rumänische MAGA-Bewegung geebnet? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Syrische Rebellen feiern nach der Einnahme von Damaskus in Homs, Syrien, am 08. Dezember 2024. Syrische Rebellen haben am 08. Dezember 2024 Damaskus eingenommen und in einer im Fernsehen bertragenen Erklrung die Befreiung der Stadt Damaskus und den Sturz von Bashar al-Assad sowie die Freilassung aller Gefangenen angekndigt. Die Rebellen forder
Syrische Rebellen feiern nach der Einnahme von Damaskus in Homs, Syrien, am 08. Dezember 2024. Syrische Rebellen haben am 08. Dezember 2024 Damaskus eingenommen und in einer im Fernsehen übertragenen Erklärung die "Befreiung der Stadt Damaskus und den Sturz von Bashar al-Assad" sowie die Freilassung aller Gefangenen angekündigt. Die Rebellen forderEPA/BILAL AL HAMMOUD

Rzeczpospolita: Der seltsame Sturz eines Diktators

Das schnelle Ende von Baschar al-Assad ist ein außergewöhnliches Ereignis, nicht nur für den Nahen Osten. Putin erleidet dadurch einen beträchtlichen Imageschaden: Er kann Diktatoren nicht mehr versprechen, er werde sie beschützen, schreibt im Aufmacher der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Publizist Jerzy Haszczyński.

In Bezug auf den Umsturz selbst, erinnert der Autor, dass Abu Mohammed al-Dschawlani einst selbst ein Dschihadist gewesen ist. Es, lesen wir, stelle sich die Frage, ob man glauben könne, dass der sunnitische Fundamentalismus, der viele der heutigen Sieger angetrieben habe, der Vergangenheit angehöre. Derzeit herrsche Freude über den Sturz des Diktators – nicht nur unter den Sunniten, sondern auch bei vielen Angehörigen von Minderheiten, darunter Christen. Doch die jüngste Geschichte der arabischen Revolutionen mahne zur Vorsicht: Die Entfernung von Diktatoren in Ägypten oder Libyen habe nicht zu Demokratie, Freiheit oder der Achtung der Menschenrechte geführt. Die Frage, ob Syrien eine Ausnahme sein werde, werde die Welt wohl noch lange beschäftigen.

Trotzdem sei die Bedeutung der Ereignisse in Syrien für die gesamte Region und die Welt einzigartig. Ein neuer Naher Osten entstehe, in dem die Rolle der führenden Staaten des antiwestlichen Blocks, allen voran Iran und Russland, drastisch abnehme. Und Putin erleide eben auch eine schwere Imagekrise: Er könne Diktatoren nicht mehr versichern, dass sie keine Angst haben müssen und sich nicht an westlichen Spielen mit Demokratie beteiligen sollten, da er sie beschützen werde. Der Sturz des russischen Schützlings Baschar al-Assad sei eine deutliche Warnung für sie.

Die Frage, wer außer den syrischen Rebellen, die bald das Land regieren würden, von diesem großen Wandel im Nahen Osten profitiere, lasse sich noch nicht abschließend beantworten. Naheliegend seien jedoch die Türkei, Israel und sunnitische Staaten des anti-iranischen Lagers. Doch alle müssten sich auf unterschiedliche Szenarien vorbereiten.

Assads Sturz bedeute Hoffnung für die syrischen Flüchtlinge, die nicht für immer im Exil bleiben wollten. Einige kehrten bereits zurück. Sollte dies zu einem Massenphänomen werden, könne der Sturz des Diktators auch Auswirkungen auf Europa haben, so Jerzy Haszczyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Brüssel rettet die deutsche Wirtschaft, indem es polnische Landwirte gefährdet

Auch das Abkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten sorgt unter den Publizisten für Diskussionsstoff. Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie warnt in der heutigen Ausgabe, dass Brüssel mit dem Abkommen die deutsche Wirtschaft auf Kosten der polnischen und europäischen Landwirte retten will. Diese würden befürchten, dass der Kontinent von billigen Produkten aus Südamerika überschwemmt werde. Der Grund: Die Landwirtschaft dort werde in einer völlig anderen Größenordnung betrieben als in Europa, insbesondere in der Rinder- und Geflügelzucht. Doch das sei nicht alles – laut den Landwirten könnte jede Produktionssparte gefährdet sein. „Mit der Unterzeichnung des Mercosur-Abkommens hat die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, auch die Zukunft der ökologischen Landwirtschaft in Europa begraben. Die Mercosur-Länder verfügen insgesamt über fast 8 Millionen Hektar ökologische Anbaufläche. Ein mittelgroßer Bio-Betrieb in Argentinien hat 3.000–5.000 Hektar, in der EU durchschnittlich 37 Hektar“, zitiert das Blatt den Agrarwissenschaftler Jacek Zarzecki.

Daher, so die Zeitung, würden Landwirte eine Reaktion der polnischen Regierung fordern. Landwirtschaftsminister Czesław Siekierski habe erklärt, dies sei erst der Beginn der Verhandlungen, und die Mitgliedstaaten müssten dem Abkommen noch zustimmen. Siekierski habe betont, dass man weiter handle und für Themen wie die Lebensmittelsicherheit Europas und den gleichen Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte aus Polen und anderen EU-Ländern kämpfe.

Die Regierung, so Gazeta Polska, habe zwar erklärt, dass sie gegen das Abkommen sei, wisse aber derzeit nicht einmal, ob dafür Einstimmigkeit erforderlich sei oder ob es im Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit verabschiedet werden könne. Wie Krzysztof Ciecióra von der PiS betonte, habe Premierminister Donald Tusk versprochen, die Unterzeichnung dieses Abkommens zu verhindern. Doch das Abkommen sei unterzeichnet worden und es sei äußerst nachteilig für Polen und die polnischen Landwirte. Deshalb habe man beantragt, eine Landwirtschaftskommission einzuberufen. “Wir wollen, dass die Regierung Rechenschaft ablegt, denn bislang hat sie ihre Position nicht klar formuliert. Sie erklärt, sie sei dagegen, aber das ist nur Rhetorik. Die Fakten sind, dass das Abkommen unterzeichnet wurde“, so Ciecióra.

Es, so die Zeitung, sei fraglich, ob die Regierung Maßnahmen ergreifen werde. Deutschland sei der größte Befürworter des Abkommens und eines der wenigen Länder, das eine positive Handelsbilanz mit den Mercosur-Staaten habe. Der deutsche Export nach Südamerika habe sich 2023 auf 16 Milliarden Euro belaufen, während der Import weniger als 7 Milliarden Euro betragen habe. Deutsche Vertreter hätten betont, dass die Unterzeichnung und Ratifizierung des Abkommens ihnen einen Markt mit 700 Millionen Verbrauchern eröffne. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung habe geschrieben, dass Ursula von der Leyen sich mit Donald Tusk über das Abkommen verständigt habe, der polnische Premierminister jedoch bis zu den Präsidentschaftswahlen in Polen eine harte Haltung präsentieren werde. „Das ist nichts Überraschendes. Donald Tusk muss die politischen Schulden begleichen, die er bei unseren Nachbarn gemacht hat“, so Krzysztof Ciecióra im Gespräch mit der Gazeta Polska Codziennie.

Rzeczpospolita: Mercosur ist eine wirtschaftliche und geopolitische Chance für die EU

Der Freihandel mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay betreffe nicht nur den zollfreien Warenverkehr zwischen diesen Ländern und der EU, sondern auch die Frage, welche Position die EU in den kommenden Jahrzehnten in der Welt einnehmen werde, schreibt indes Anna Słojewska von der Rzeczpospolita.

Geht es nach der Autorin, habe Ursula von der Leyen keine andere Wahl gehabt, als das Handelsabkommen mit Mercosur jetzt zu unterzeichnen. Laut inoffiziellen Informationen habe der brasilianische Präsident Lula da Silva ein Ultimatum gestellt: Entweder unterzeichne die EU das seit über 20 Jahren verhandelte Abkommen, oder Brasilien ziehe sich zurück und stärke seine Beziehungen zu China. Die Präsidentin der Europäischen Kommission habe daher beschlossen, zu handeln, und dabei die politische Instabilität in Frankreich genutzt, wo gerade die Regierung gestürzt worden sei. Frankreich sei der größte Gegner des Abkommens, und jüngst habe sich auch Polen den Kritikern angeschlossen. Weder Macron noch Tusk wollten Bauernproteste auf den Straßen ihrer Städte sehen. In beiden Ländern nutze die Opposition die Mercosur-Frage, um gegen die jeweilige Regierung vorzugehen.

Doch laut Słojewska stelle das Freihandelsabkommen mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay für die EU sowohl eine wirtschaftliche als auch eine geopolitische Chance dar. Es wäre das größte Abkommen dieser Art weltweit, gemessen an der Bevölkerungszahl und dem Bruttoinlandsprodukt beider Regionen und eröffne europäischen Unternehmen einen großen, zukunftsorientierten südamerikanischen Markt. Die vier Mercosur-Länder hätten sich verpflichtet, Zölle auf Importe von Industriegütern aus der EU abzuschaffen und den Markt für öffentliche Ausschreibungen schrittweise zu öffnen – ein Schritt, den sie bisher mit keinem anderen internationalen Partner gemacht hätten. Zudem befänden sich dort wichtige Rohstoffe für die Energiewende.

Das Abkommen werde als Chance für die europäische Industrie gesehen, stelle jedoch, wie Słojewska zugibt, eine potenzielle Bedrohung für die europäische Landwirtschaft dar. Daher sei für empfindliche Bereiche wie Rindfleisch etwa ein zollfreies Importkontingent vorgesehen, das lediglich 1,5 Prozent des EU-Marktes ausmache. Ähnliches gelte für den Import von Geflügel, der für einige polnische Produzenten wichtig sei.

Wie die Autorin betont, werde das Abkommen auch von anderen Wirtschaftspartnern der EU aufmerksam beobachtet. Sollten die Mitgliedstaaten nach Jahren harter Verhandlungen und Zugeständnissen der Mercosur-Länder das Abkommen ablehnen, könnte dies die Glaubwürdigkeit der EU untergraben. Andere Länder könnten die Zusammenarbeit mit der EU infrage stellen, und die interne Struktur der EU könnte geschwächt werden.

Fazit: Die EU brauche das Mercosur-Abkommen, da es ihre Position in einer Welt stärke, in der China und die USA um die Vorherrschaft kämpfen. Die Union müsse mit gleichgesinnten Staaten kooperieren, um eine Ordnung auf der Grundlage des freien Handels zu schaffen. Gleichzeitig schaffe das Abkommen eine Annäherung in anderen Bereichen, da sich die Mercosur-Länder verpflichtet hätten, am Pariser Klimaabkommen festzuhalten und die Entwaldung zu stoppen, so Anna Słojewska in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Rumänische Lektion der kämpfenden Demokratie

Und noch ein Kommentar zur überraschenden Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichts, die erste Runde der Präsidentschaftswahlen, zwei Tage vor der Stichwahl, doch noch für ungültig zu erklären. Berichte über ausländische Einmischung seien nicht neu, und sowohl in Großbritannien als auch in den USA habe es solche gegeben. Doch dort sei das Wahlergebnis selbst nie aufgehoben worden, aus Sorge, demokratische Regeln durch Willkür oder Ausnahmezustände zu unterminieren, schreibt dazu der Publizist des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna, Zbigniew Parafianowicz. 

In Rumänien hingegen sei die zweite Wahlrunde annulliert worden. Unabhängig davon, wie umstritten der Sieger der ersten Runde, Georgescu, sei, sei diese Entscheidung auf eine Weise getroffen worden, die die extreme Rechte weiter gestärkt habe. Denn die Gründe für deren Unterstützung lägen viel tiefer als Manipulationen auf TikTok oder illegale Wahlkampffinanzierung.

Wie Parafianowicz hervorhebt, habe der rumänische Geheimdienst (SRI) in seinem Bericht keine bewussten Verbindungen Georgescus zu russischen Diensten nachgewiesen. Zwar habe er prorussische und rechtsextreme Aussagen getätigt, aber nie sei er dafür rechtskräftig verurteilt worden. Georgescu sei jahrelang in Regierungskreisen präsent gewesen, etwa im Außen- und Umweltministerium, ohne dass dies Anlass zu Bedenken gegeben habe – bis er plötzlich als Kandidat für das höchste Staatsamt infrage gekommen sei.

Hinzu komme, dass das Verfassungsgericht Rumäniens seine eigene Entscheidung geändert hat. Nach der ersten Wahlrunde sei diese noch als gültig anerkannt worden, obwohl die Unregelmäßigkeiten in der Wahlkampffinanzierung bereits bekannt gewesen seien. Zwei Tage vor der zweiten Runde habe das Gericht jedoch seine Meinung geändert und die Wahl annulliert – entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Landes. Dieses späte Eingreifen habe den Eindruck erweckt, dass hier kurzfristig und ohne klare juristische Grundlage agiert worden sei.

Mit einem Wort: Georgescu habe dubiose Ansichten, und er werde von einem dubiosen geschäftlichen Umfeld unterstützt, das vor allem im Bereich Kryptowährungen tätig sei. Es sei nicht auszuschließen, dass Moskau in all dem seine Finger im Spiel habe. Man könne annehmen, dass im Falle eines Wahlsiegs Georgescus die Zusammenarbeit Bukarests mit den USA infrage gestellt worden wäre. Es heiße, die Demokraten hätten Präsident Iohannis in den letzten Tagen unter Druck gesetzt und mit dem Einfrieren von Investitionen gedroht. Dies hätten sie aus Sorge um die Zukunft der Militärbasis Mihail Kogălniceanu und des Raketenschilds in Deveselu getan. Diese Sorgen könnten durchaus berechtigt sein, da die Basis in Konstanza für den Krieg in der Ukraine von zentraler Bedeutung sei, einem Konflikt, in dem Georgescu eher Verständnis für Putin zeige. Langfristig solle die Basis größer werden als Ramstein. Der Raketenschild sei ebenfalls ein entscheidender Schritt zur Verteidigung des Westens gegen autoritäre Achsen, die Georgescu offenbar nicht als solche betrachte.

Die entscheidende Frage sei jedoch, ob all dies die fragwürdige und rechtlich zweifelhafte Eliminierung eines Kandidaten aus dem rumänischen Wahlprozess rechtfertige. Mit der Annullierung der Wahlergebnisse sei die kämpfende rumänische Demokratie kompromittiert worden, und gleichzeitig sei der Weg für eine lokale Version von „MAGA“, und zwar in einer Turbo-Version, geebnet worden, so Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna. 

Autor: Adam de Nisau





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