Deutsche Redaktion

Kommentare zur Flutkatastrophe: Zwischen Solidaritätsappellen und Schuldzuweisungen

16.09.2024 14:09
Im Mittelpunkt der heutigen Pressekommentare ist die Flutkatastrophe in Niederschlesien. Während die einen zu Einheit und gemeinsamem Handeln aufrufen, werfen andere der Regierung schwere Versäumnisse vor. Und: Marek Cichocki knüpft sich die beunruhigenden Nebeneffekte der deutschen Debatte zur Sabotage von Nord Stream vor. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Kłodzko, 15.09.2024. Dynamische Hochwasserlage. Der Fluss Nysa Kłodzka berschwemmte das Zentrum von Kłodzko, 15 bm. Das Genueser Tief, das am Donnerstag, den 12. September, ber Polen hinwegzog, ist fr den derzeitigen Wetterumschwung und die starken Regenflle vor allem in Niederschlesien verantwortlich. (aldg) PAPMaciej Kulczyński
Kłodzko, 15.09.2024. Dynamische Hochwasserlage. Der Fluss Nysa Kłodzka überschwemmte das Zentrum von Kłodzko, 15 bm. Das Genueser Tief, das am Donnerstag, den 12. September, über Polen hinwegzog, ist für den derzeitigen Wetterumschwung und die starken Regenfälle vor allem in Niederschlesien verantwortlich. (aldg) PAP/Maciej KulczyńskiPAP/Maciej Kulczyński

Rzeczpospolita: Wenn die Politik weichen muss

Die wahren Helden in Zeiten der Flut sind Feuerwehrleute, Polizisten, Soldaten und Rettungskräfte, betont in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Eine Flut, so der Autor, sei ein Moment für Zusammenarbeit und Solidarität, nicht für politische Spaltungen. Und für Politiker sei es eine Bewährungsprobe: Sind sie bereit, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen?

Viele, so Szułdrzyński, würden die aktuelle Hochwassersituation mit der großen Flut vor 27 Jahren vergleichen. In diesem Kontext sei es auch wichtig zu erkennen, wie weit sich Polen seitdem entwickelt hat. Trotz noch bestehender Mängel sei dieser Fortschritt der Verdienst aller Regierungen der letzten Jahrzehnte. Sobald das Wasser zurückgehe, werde man natürlich analysieren, was versagt habe. Derzeit würden die Einsatzkräfte jedoch Anerkennung verdienen, und von Politikern erwarte man, dass sie nicht im Wege stehen.

Vor zweieinhalb Jahren hätten sich die Polen zusammengetan, um über politische Grenzen hinweg Hunderttausenden ukrainischer Flüchtlinge zu helfen. Die Flut vor 27 Jahren habe die Bewohner von Wrocław vereint. Dieses Maß an Solidarität sei auch heute notwendig, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Der Hass auf Tusk wichtiger als die Flut

Wie die Chancen darauf stehen, das kann man einem Blick in die anderen Tageszeitungen entnehmen. So kritisiert Bartosz Wieliński in der linksliberalen Gazeta Wyborcza etwa scharf, dass führende Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) am Samstag abfällige Parolen gegen Premierminister Donald Tusk skandiert haben, während im Süden Polens bereits eine Flutkatastrophe drohte. Während die PiS-Politiker, so der Autor, "wie Hooligans" agiert hätten, habe sich Tusk in der Nähe der bedrohten Städte befunden. Dies sei natürlich kein Heldentum, sondern europäischer Standard. Im Falle der hasserfüllten Kundgebung gegen die Regierung, sei es indes schwer, von der Einhaltung irgendwelcher Standards zu sprechen.

Offenbar, bemängelt Wieliński, seien polnische Politiker nicht reif genug, in Krisenzeiten parteipolitische Differenzen beiseite zu lassen. Kaczyński scheine zu glauben, dass seine Wähler eine ständige Dosis Hass benötigten, unabhängig von den Umständen. Gleichzeitig sei es ebenso unangebracht, dass Politiker der Bürgerkoalition (KO) die Situation nutzen, um die PiS für vernachlässigte Hochwasserschutzmaßnahmen zu kritisieren. Priorität müsse jetzt die Evakuierung und der Schutz der Bevölkerung haben; politische Auseinandersetzungen sollten warten, bis die akute Gefahr vorüber sei, appelliert auch Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

Gazeta Polska Codziennie: Premier hat die Gefahr ignoriert – Opfer und überflutete Städte

Die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie wirft dem Premierminister in ihrem heutigen Aufmacher indes vor, die Gefahr ignoriert zu haben. Wie Jan Przemyłski dem Regierungschef vorhält, habe dieser noch am Freitag erklärt, es gebe keinen Grund zur Panik, die Wetterprognosen seien “nicht übermäßig alarmierend”. Doch bereits wenige Stunden später sei die Situation dramatisch eskaliert.

In dem Artikel kommen ehemalige Regierungsbeamte zu Wort, wie der ehemalige Chef der Wasserbehörde Wody Polskie, Krzysztof Woś, der sagt: „Die Behörden haben die Situation nicht unter Kontrolle, und viele Reaktionen sind stark verspätet. Die Gefahr wird noch viele Tage anhalten.“ Marek Gróbarczyk, ehemaliger Minister für maritime Wirtschaft und Binnenschifffahrt und PiS-Abgeordneter, wirft Abgeordneten der Bürgerkoalition (KO) vor, Investitionen in Wasserretention blockiert zu haben: „Sie riefen Brüssel zu Hilfe, schalteten Gerichte ein, um Investitionen, insbesondere an der Oder, zu verhindern.“ Gleichzeitig habe das Umfeld des heutigen Premierministers behauptet, dass Polen eine solche Situation, wie 1997 eher nicht mehr droht und man Flüsse daher renaturalisieren sollte. Das ist der Wahnsinn dieser Ideologen, so Jan Przemyłski in der Gazeta Polska Codziennie. 

Rzeczpospolita: Nord Stream forever

Der Philosoph und Politologe Marek Cichocki macht in der Rzeczpospolita auf die verstärkte Aufmerksamkeit deutscher Medien in Bezug auf die Zerstörung von Nord Stream aufmerksam. Diese, so der Autor, soll dazu dienen, die Öffentlichkeit von unbequemen Fragen abzulenken, wie etwa: Was waren die wahren Umstände der Entstehung des Projekts, und welches Ausmaß an politischer Korruption hat es in den deutsch-russischen Beziehungen geschaffen?

Wie Cichocki erinnert, würden deutsche Medien seit Wochen über angebliche ukrainische und polnische Verstrickungen in die Sprengung der Pipeline im Jahr 2022 berichten. Obwohl Politiker der Regierungskoalition und der CDU versuchen, das Thema zu meiden, würde sich dieses Thema durch seine ständige Medienpräsenz in der öffentlichen Meinung verfestigen. Die AfD und das BSW würden diesen Effekt bewusst nutzen und bei Wählertreffen systematisch von einem Terroranschlag auf Deutschlands kritische Infrastruktur sprechen, die der deutsche Staat aufklären und bestrafen müsse.

Gleichzeitig unterstreiche dieses Narrativ allerdings auch die direkte Verbindung zwischen der Existenz der Nord Stream Pipeline und dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Dies sei insofern wichtig, als das viele Deutsche das Projekt immer noch als ausschließlich kommerzielles Projekt wahrnehmen wollen, das niemandem schade. Allerdings lenke die Debatte über die Sabotage eben von Fragen zur Rolle von Nord Stream in den deutsch-russischen Beziehungen und den politischen Verstrickungen ab? Eigentlich würden diese Fragen die Einsetzung einer Untersuchungskommission und die Erstellung eines soliden Berichts erfordern. Und in der derzeitigen Medienaufregung um Nord Stream geht es wohl eben darum, sicherzustellen, dass dies nicht geschieht, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau


„Ihr solltet euch entschuldigen und schweigen.“ Tusk reagiert auf Berichte über Nord Stream

17.08.2024 22:08
Polens Premierminister und der Chef des Büros für Nationale Sicherheit (BBN) äußerten sich zu den jüngsten Nachrichten über die Sprengung der Nord Stream-Gaspipeline im September 2022. Seit einigen Tagen gibt es in der westlichen Presse Vorwürfe gegen Polen, die Ermittlungen in dieser Angelegenheit zu behindern.

Vize-Außenminister dementiert Vorwürfe: Polen habe nichts mit der Zerstörung von Nord Stream zu tun

21.08.2024 06:31
Der stellvertretende Außenminister Andrzej Szejna hat vehement Behauptungen zurückgewiesen, Polen sei in die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines verwickelt. Diese Vorwürfe wurden vom ehemaligen Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes (BND), August Hanning, erhoben und zuletzt von der Zeitung "Die Welt" veröffentlicht.

Nord Stream Sabotage: Polen konnte den verdächtigten Ukrainer nicht festnehmen

03.09.2024 09:33
Polen konnte den europäischen Haftbefehl gegen einen ukrainischen Staatsbürger, der im Verdacht steht, an der Sabotage der Nord Stream 1- und 2-Gaspipelines beteiligt gewesen zu sein, nicht vollstrecken. Das sagte Polens Justizminister Adam Bodnar. Wie Bodnar bestätigte, habe sich der Verdächtige, Volodymyr Ż., nicht in Polen aufgehalten.

Hochwassergefahr in Polen: Premierminister Tusk warnt vor kritischer Nacht

14.09.2024 18:37
Heftige Regenfälle in ganz Polen verursachen lokale Überschwemmungen und zwingen zur Evakuierung in mehreren Regionen. Die Lage ist besonders im Süden des Landes kritisch. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.

Starke Regenfälle: Premierminister Tusk warnt vor Rekordhochwasser

14.09.2024 20:11
Polen wird derzeit von starken Regenfällen heimgesucht, die in mehreren Regionen zu Hochwassergefahr führen. Die Lage bleibt angespannt, und die Prognosen sind laut Premierminister Donald Tusk nicht optimistisch. Tusk erklärte, dass die Niederschläge der kommenden Nacht in vielen Gebieten noch heftiger ausfallen könnten, mit rekordverdächtigen Wassermengen.

Regierung hält Sondersitzung. Wrocław ruft Hochwasseralarm aus

16.09.2024 09:17
Wegen der schweren Überschwemmungen im Süden Polens erwägt die Regierung den Katastrophenzustand auszurufen. Wie Premierminister Donald Tusk am Sonntag bekanntgab, soll die entsprechende Entscheidung heute fallen.

Belgien sammelt Hilfe für die Flutopfer in Polen

16.09.2024 11:00
Die polnischen Einwohner Belgiens haben am Montag eine Spendenaktion für die von der Flutkatastrophe in Polen betroffenen Menschen gestartet. Dies ist eine weitere Initiative der polnischen Gemeinschaft in Belgien.